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Archiv-Artikel

„Vertrauen ist ein wichtiges Thema“

Auf Einladung des Integrationsbeauftragten diskutieren junge Frauen und Expertinnen aus der Mädchenarbeit über Fragen, Wünsche und Perspektiven von Mädchen. Ein Ergebnis: Von der Sichtweise der Expertinnen halten die Mädchen wenig

VON SABINE AM ORDE

„Da kommt das Fernsehen und es sind keine Mädchen da“, stöhnt eine der Organisatorinnen, die vor der Werkstatt der Kulturen im Freien steht. Es ist Dienstag kurz vor 14 Uhr und in den großen Klinkerbau in der Neuköllner Wissmannstraße haben sich bislang wirklich kaum Mädchen verirrt. Dabei soll es bei dem dritten Diskussionsforum der Reihe „Under Construction – Einwanderungsstadt Berlin“, zu dem der Integrationsbeauftragte Günter Piening geladen hat, heute um ihre Fragen, Wünsche und Perspektiven gehen. Bisher haben sich in dem großen Saal aber vor allem jene eingefunden, die professionell mit Mädchen umgehen: Sozialarbeiterinnen und andere Fachfrauen aus der Mädchenarbeit.

Nach und nach trudeln dann aber auch einige Mädchen und junge Frauen ein. Genau wie die Expertinnen werden sie am Eingang mit einem farblich markierten Namensschild ausstaffiert, auf dem außerdem eine Nummer steht. Damit, so erklärt später die Moderatorin, soll verhindert werden, dass heute die miteinander reden, die sowieso einer Meinung sind. „Ziel ist es, miteinander ins Gespräch zu kommen.“

Und so werden die knapp 50 Beteiligten möglichst quotiert über sechs der zwölf Tische verteilt, die im Saal aufgebaut sind – mangels Beteiligung bleiben die anderen sechs leer. Für die Arbeit an den Tischen, die Themen wie Schule, Ausbildung oder Familie zugeordnet sind, sind die Regeln klar formuliert: Zunächst sollen hier Fragen formuliert werden, erst später geht es um die Antworten.

Am Familientisch sitzen drei Mädchen gemeinsam mit sechs Fachfrauen. „Vertrauen ist ein wichtiges Thema“, sagt die 16-jährige Fatah sofort. Wie kann man das als Frage formulieren, fragt eine Sozialarbeiterin. „Warum vertrauen die Eltern ihren Töchtern nicht?“, landet schließlich auf dem großen Bogen, der für die Fragen vorbereitet ist. Fragen nach Religion, der Rollenverteilung in der Familie, Gewalt, mangelnden Freiheiten und dem Einfluss der Eltern auf den beruflichen Werdegang folgen.

Fatah, deren Eltern aus dem Libanon stammen, beteiligt sich rege an der Diskussion. Die beiden jüngeren Mädchen am Tisch tun das nicht. Die eine schreibt die Fragen auf, die andere interessiert sich mehr für die Button-Maschine eines Mädchenprojekts, das am Rand über seine Arbeit informiert.

In ihrer Familie sei Vertrauen kein Problem, betont Fatah später, als die Antworten besprochen werden. „Aber ich kenne viele, wo es fehlt, egal ob es um die Schule oder um Liebesbeziehungen geht.“ Claudia Apfelbacher vom Mädchennotdienst, eine der Fachfrauen am Familientisch, hätte es gern etwas konkreter. „Vielleicht spielt die Pubertät eine wichtige Rolle, weil ihr attraktiv seid und Kontakt zu den Jungen aufnehmt.“ Fatah weiß zwar, dass in vielen Familien zum Beispiel kurze Röcke und bauchfreie Tops verboten sind, doch auf Details will sie sich nicht einlassen.

Später, als jede Gruppe im Plenum ihre beiden wichtigsten Fragen präsentiert und Expertinnen versuchen, diese zu beantworten, ist die Zehntklässlerin überrascht, als es um Zwangsheirat geht. „Das kenne ich nicht“, sagt sie. Katharina Frass von der Mädchenberatung Elisi Evi dagegen betont, Zwangsheirat sei ein massives Problem. „Den Mädchen ist das oft nicht bewusst“, sagt Frass, „dass es um arrangierte Hochzeiten geht.“ Das reizt Joana, eine junge Frau arabischer Herkunft, die am Nebentisch sitzt, zum Widerspruch. „Das hört sich ja so an, als würden alle zwangsverheiratet“, kritisiert sie erregt.

Auch die positiven Aussagen zur Berufsberatung, um die es in der vorherigen Präsentation ging, kann Joana nicht teilen. „Die Berufsberater machen den Jugendlichen alle Hoffnung zunichte“, sagt sie, „die sagen einem ja doch nur, das schaffst du nicht.“ Sie habe ihren Weg trotz der Berufsberatung gemacht. Joana absolviert eine Ausbildung als Kauffrau, später will sie Betriebs- oder Volkswirtschaft studieren.

Die junge Frau dürfte für Berlins Integrationsbeauftragten Günter Piening ein gutes Beispiel sein. Der fand nach mehr als dreistündiger Debatte, bei der er nicht mitdiskutierte, nur eines schade: „Dass gar nicht thematisiert wurde, dass es Mädchen und junge Frauen häufig besser schaffen als junge Männer.“