Verteidiger Kubicki über den Fall Kachelmann: Wie man die Medien benutzt
Im Fall Kachelmann gibt es Exklusivinformationen gegen wohlwollende Berichterstattung, sagt der Strafverteidiger Kubicki. Er kennt das Spiel aus eigener Erfahrung.
taz: Herr Kubicki, der Prozess gegen den Moderator Jörg Kachelmann hat noch nicht begonnen. Doch längst tobt ein Schauverfahren in den Medien. Alle Beteiligten äußern sich: die Staatsanwaltschaft, Kachelmann selbst, sein Verteidiger und der Anwalt des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers. Als Anwalt kennen Sie dieses Spiel bestens. Auch Sie haben die Medien benutzt, um Mandanten zu verteidigen.
Wolfgang Kubicki: Ich habe die Medien nicht benutzt – sondern genutzt.
Wo ist da der Unterschied?
Die Medien bieten diese Zusammenarbeit freiwillig an. Bei wichtigen Verfahren erhalte ich auch solche Anrufe: "Herr Kubicki, diese Geschichte machen Sie doch mit uns?!" Das ist dann ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Die Medien erhalten Informationen und dafür berichten sie freundlich über den eigenen Mandanten. Ich bin 35 Jahre im Beruf, aber in den letzten zehn Jahren hat die Rolle der Medien bei Strafprozessen stark zugenommen.
Oft wird behauptet, dies sei eine "Amerikanisierung" deutscher Strafverfahren.
Ich weiß nicht, ob das eine Amerikanisierung ist. Ich habe eher den Eindruck, dass sich der Wettbewerb zwischen den Medien verschärft hat. Alle kämpfen um exklusive Informationen und dafür wird dann im Gegenzug wohlwollende Berichterstattung geboten. Daraus hat sich ein ganz neues Geschäftsmodell entwickelt.
WOLFGANG KUBICKI, 58, ist seit 1996 FDP-Fraktionsvorsitzender in Schleswig-Holstein. Zudem arbeitet er als Anwalt. Im VW-Korruptionsprozess verteidigte er den ehemaligen VW-Personalmanager Gebauer, indem er Informationen an ausgewählte Medien streute - zum Beispiel über Prostituierte, die sich VW-Personalchef Hartz zuführen ließ.
Der Vorwurf: Jörg Kachelmann soll Anfang Februar seine Exfreundin vergewaltigt und mit einem Messer verletzt haben - er bestreitet die Vorwürfe. Der 52-Jährige war am 20. März auf dem Frankfurter Flughafen verhaftet worden und wurde erst letzte Woche aus der Untersuchungshaft entlassen. Laut Focus belastet den Moderator jetzt noch eine weitere Frau: Diese habe dem Amtsgericht Mannheim berichtet, Kachelmann habe sie 2001 in ihrer Wohnung mit einem Stock geschlagen.
***
Die Ermittlungen: Die Staatsanwaltschaft legt Kachelmann Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall sowie Körperverletzung zur Last. Prozessbeginn vor dem Landgericht Mannheim ist voraussichtlich am 6. September.
Tatsächlich fällt auf, dass "Spiegel" und "Zeit" sich eher auf die Seite von Kachelmann geschlagen haben, während "Focus" und "Bunte" eher auf der Seite des mutmaßlichen Opfers stehen.
Wichtig ist für jeden Anwalt, dass die Medien seriös sind, mit denen er sich einlässt.
Deswegen muss "Bild" jetzt die Exklusivinformationen aus dem "Focus" zitieren?
Wahrscheinlich.
Wann gehen Sie als Verteidiger auf Angebote der Medien ein?
Wenn es meinem Mandanten nutzt. Er muss ja zustimmen, dass ich Informationen weiterreiche, und mich von meiner Verschwiegenheitspflicht als Anwalt befreien. Allerdings sind solche Medienprozesse absolute Ausnahmen. In 99 Prozent aller Strafverfahren meiden die Verteidiger die Öffentlichkeit, weil die Mandanten nicht wollen, dass ihr Verfahren bekannt wird.
War es dann von Kachelmanns Verteidiger richtig, so offensiv die Medien zu bedienen?
Für das Gerichtsverfahren ist es nicht glücklich, dass wesentliche Aussagen schon vorher öffentlich ausgetauscht werden. Indem eine Art medialer Volksgerichtshof entsteht, wird die Unbefangenheit der Richter beeinflusst.
Hätte Kachelmanns Verteidiger also schweigen sollen?
Nein. Es war unvermeidlich, dass der Fall in die Medien gerät, denn es geht um einen Promi sowie um Sex and Crime. Und wenn sie erst einmal öffentlich hingerichtet werden, müssen Zeugen und Angeklagte ihre Interessen wahren, indem sie strategische Medienarbeit betreiben.
Aber hätte man den ganzen Medienrummel nicht vermeiden können? Die Staatsanwaltschaft Mannheim wurde kritisiert, dass sie öffentlich mitgeteilt hat, dass sie ein Verfahren gegen einen "Journalisten und Moderator" eröffnet hätte.
Die Staatsanwaltschaft hatte keine Wahl. Nach den Landespressegesetzen ist sie verpflichtet, die Medien über bedeutende Verfahren zu unterrichten.
Inzwischen ist eine Schlacht der Gutachten ausgebrochen. Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben jeweils eigene Expertisen anfertigen lassen. Ist das sinnvoll?
Als Verteidiger von Kachelmann hätte ich auch eigene Gutachten angefordert. Das ist die einzige Möglichkeit, wenn die Staatsanwaltschaft mit den Verteidigern nicht abspricht, welche Gutachter herangezogen werden.
Im Normalfall arbeiten also Staatsanwaltschaft und Verteidigung zusammen?
In aller Regel sind solche Absprachen vernünftig, gerade bei Sexualdelikten, damit der Prozess nicht durch immer weitere Gutachten in die Länge gezogen wird.
Und warum kam es diesmal nicht zu solchen Absprachen?
Möglicherweise, weil Jörg Kachelmanns Verteidigung schon sehr früh von einem "Justizskandal" gesprochen hat.
War es von Kachelmanns Verteidigung ein Fehler, die Staatsanwaltschaft so früh und so massiv anzugehen?
Nein. Ich hätte genauso reagiert im Interesse meines Mandanten. In der veröffentlichten Meinung wurde Kachelmann sehr früh zum Täter gestempelt. Und die Details müssen von der Staatsanwaltschaft gekommen sein - oder von den Anwälten des mutmaßlichen Opfers.
Warum soll nicht auch die Verteidigung Informationen gestreut haben?
Zu einem so frühen Zeitpunkt hatte die Verteidigung noch gar keine umfassende Akteneinsicht. Vor allem aber wird sie nicht zulasten des eigenen Mandanten arbeiten.
Inzwischen arbeitet aber nicht nur Kachelmanns Anwalt mit den Medien - auch Kachelmann selbst gab Interviews, kaum dass er aus der Untersuchungshaft entlassen war. Halten Sie das für klug?
Jörg Kachelmann hat 130 Tage eingesessen, und ich kann menschlich verstehen, dass er sein öffentliches Bild zurechtrücken und sich als unschuldig präsentieren will. Aber aus der Sicht eines Verteidigers ist das äußerst gefährlich. Denn jede Interviewäußerung von Herrn Kachelmann kann im Verfahren gegen ihn verwendet werden. Da muss er vor Gericht nur in ein oder zwei Sätzen etwas Abweichendes sagen – und schon unterminiert das seine Glaubwürdigkeit.
So wirkt es eigenartig, dass Kachelmann behauptet, seine Zelle sei so schmutzig gewesen, wie man sie sich für Regimegegner in Nordkorea ausmale. Das wurde von der Justizvollzugsanstalt prompt dementiert.
Da Kachelmann die JVA Mannheim sonst gelobt hat, passt das tatsächlich nicht ins Bild, und lässt ihn wie jemand erscheinen, der auch mal übertreibt, wenn es zur Story passt. Für einen Angeklagten ist es immer besser, sich in den Medien zurückzuhalten.
Das Tagebuch des mutmaßlichen Opfers wurde wiederum im "Focus" abgedruckt. Hilft das der Anklage?
Auch das war kontraproduktiv. Denn jetzt kann sich Kachelmanns Verteidiger noch besser auf die Gerichtsverhandlung vorbereiten. Er wird dieses Tagebuch sezieren, indem jede Aussage der Zeugin überprüft wird, ob sie sich dort wiederfindet nach dem Motto: "Warum haben Sie dieses wichtige Detail denn nicht in Ihr Tagebuch geschrieben? Das war doch ein bleibender Eindruck! Warum führen Sie denn ein Tagebuch, wenn das Intimste nicht drinsteht!!!?" Am Ende könnte die Zeugin ganz wirr im Kopf sein.
Diese Strategie hätte die Verteidigung doch immer angewandt - egal ob das Tagebuch vorab veröffentlicht wurde oder nicht.
Der wesentliche Unterschied ist aber, dass sich die Schöffen jetzt vorab ein Bild machen. Eigentlich erhalten Schöffen ganz bewusst keine Akteneinsicht, sondern sollen nur auf der Basis der Gerichtsverhandlung urteilen. Aber jetzt kann die Verteidigung hoffen, dass sich ein öffentlicher Mainstream zu ihren Gunsten bildet, der dann auch die Schöffen und das Gericht insgesamt beeinflusst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag