Versorgung verbessern: Sozialbarometer Zähne
Weil Zahnersatz hierzulande für manche unbezahlbar ist, kann Zahnersatz aus Billigländern eine Alternative sein. Doch: "Eine sozialverträgliche Lösung muss im Land gesucht werden"
taz: Herr Scharf, ist der Zahntourismus nach Polen, Litauen, Ungarn oder Bulgarien eine Konkurrenz auf dem globalen Markt des Gesundheitstourismus für in Deutschland niedergelassene Zahnärzte?
Peter Scharf: Nein, dazu ist der Anteil von einem Prozent zu gering. Im Gegenteil, das entlastet mein Gewissen, weil ich sehe, dass ich sozial Schwache hier nicht entsprechend versorgen könnte.
Die AOK Brandenburg hat ein Abkommen geschlossen mit Praxen an der polnischen Grenze und mit Vertragsärzten hier in Deutschland, die diese Patienten weiterbehandeln. Ist das ein Modell?
Ja, das ist ein Modell für ein Land, das nicht bereit ist, ausreichend Gelder zur Verfügung zu stellen, um seine eigenen Bürger angemessen zu versorgen.
Was meinen Sie konkret?
Vor allem in den Siebzigerjahren wurden sehr viele Kronen und Brücken eingesetzt. Diese gehen mit der Zeit aber kaputt und man muss sie entfernen, um einen Behandlungsplan zu erstellen. Die provisorische Versorgung, die dann notwendig wird, bezahlt die Krankenkasse nicht mehr. So eine provisorische Brücke ist aber sehr teuer. Sie kostet zwischen 1.000 und 2.000 Euro. Das können viele Leute nicht bezahlen. Nun ist es so, dass in diesen Ländern die richtige Versorgung möglicherweise preiswerter ist als die provisorische Brücke hier.
Haben Sie Erfahrung mit Problemen bei Zahnbehandlung im Ausland?
Ein Patient, der sich auf den Philippinen behandeln hat lassen, hatte schwerste gesundheitliche Probleme, weil ein Billigmetall verwendet worden war, das hochgradig giftig war. Das Problem liegt darin, dass man nicht weiß, ob eine verlässliche Behandlung durchgeführt wird. Schwierig wird es auch, wenn irgendwelche unerwarteten Komplikationen entstehen. Dann wollen manche Patienten nicht mehr dorthin zurück. So entstehen vielleicht noch höhere Kosten, als sie vorher da waren. Hinzu kommt, dass man diese Ärzte und Kliniken nur schwierig regresspflichtig machen kann.
Es gibt aber auch hierzulande Praxen und Zahnärzte, die schlecht behandeln …
Aber diese kann man zur Rechenschaft ziehen. Das ist im Ausland schwierig. Und oft können gerade die Leute, die gezwungen sind, ins Ausland zur Behandlung zu gehen, ihre Rechte nicht durchsetzen.
Wie ist es mit den Materialien, die verwendet werden?
Das ist schon hier schwierig für Zahnärzte und Ärzte nachzuvollziehen, ob mit hochwertigen Materialien gearbeitet wird. Für den Patienten ist es schon gar nicht nachvollziehbar. Wir diskutieren bei uns inzwischen einen Nachweis, der für alle Materialien erbracht werden muss. Für keramische Materialien zum Beispiel der Nachweis, wo diese abgebaut werden, weil manche Keramiken strahlungsintensiv sind.
PETER SCHARF ist seit 1981 Zahnarzt in einer Berliner Gemeinschaftspraxis. Er ist Sprecher der Fraktion Gesundheit in der Zahnärztekammer Berlin
Würden Sie der AOK empfehlen, mit weiteren Ländern Abkommen zu schließen? Möglichst in schöner Landschaft, damit bei entsprechender Wartezeit für die neuen Zähne auch ein schöner Urlaub drin ist?
Urlaub ist ja auch nötig, um die Arbeitskraft zu regenerieren. Wenn es nicht anders geht, sind das sicher Initiativen, die momentan eine Entlastung für die Patienten bringen könnten. Aber eine Lösung ist das nicht. Gelöst werden müssen die Probleme im Land. Da müssen alle Kräfte ringen, um zu einer sozialverträglichen Lösung zu kommen. Also zu einer ausreichenden Bezahlung der Zahnärzte und zu einer guten Versorgung der Patienten.
Was ist für Sie das Dringendste?
Dass das Niveau wieder angehoben wird. Beispielsweise bei der provisorischen Versorgung, denn man kann in diesem Land noch nicht mit Zahnlücken herumlaufen, ohne sozial geächtet zu werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag