„Versöhnung mit Pistole am Kopf?“

■ Das Liberale Zentrum veranstaltete eine Diskussion zur Amnestie / Ex–RAF–Mitglied Klaus Jünschke diskutierte mit Baum, Aust und Vollmer / Aufforderung an Politiker, Lösungen anzubieten

Aus Köln Max Thomas Mehr

„Zehn Jahre danach - die RAF und die Folgen“ hatte das Liberale Zentrum in Köln ihre Veranstaltung betitelt, deren dichte Atmosphäre in der überfüllten Aula der dortigen Berufsschule vor allem einem Diskutanten zu verdanken war: Klaus Jünschke. Erstmals nach fünfzehn Jahren Knast durfte er, der seit 1972 im Knast sitzt, an einer öffentlichen Diskussion teilnehmen. Dialog, Versöhnung, Amnestie für die RAF. In diesen Wochen, zehn Jahre nach dem „Deutschen Herbst“ 1977 wird darüber öffentlich intensiver diskutiert als in allen Jahren zuvor. Die Schüsse von Frankfurt haben das Nachdenken darüber nicht nachhaltig beeinträchtigt. Daß die Diskussion möglich wurde, ist vor allem dem Umstand zu verdanken, daß diejenigen, die sie führen, zumeist Pragmatismus walten lassen: das Mögliche versuchen, sich für Lösungen in Einzelfällen engagieren, niemanden überfordern, über eigene Fehler und über den Verlust an Dialogfähigkeit reflektieren. Es wird auch nicht einfacher dadurch, für die „guten“ RAF–Aussteiger eine Amnestie zu verlangen, um die „bösen“ RAF–Dogmatiker noch tiefer in die Knäste zu stoßen. Am Donnerstag abend veranstaltete das Liberale Zentrum in Köln ganz in diesem Sinne eine Podiumsdikussion. Als vor acht Jahren der damalige Innenminister Gerhart Baum mit dem Ex–RAFler Horst Mahler das Gespräch über Gnade für Terroristen führte, reagierte die Öffentlichkeit hysterisch und hektisch. Am Donnerstag abend konnten Gerhart Baum, Klaus Jünschke, Antje Vollmer und Stefan Aust zeigen, daß es auch anders geht. „Wenn wir Amnestie für alle gefordert hätten, dann hätten wir in der Konsequenz die RAF ausschließlich zum Opfer gemacht. Eine Amnestie für Aussteiger wäre eine Ausgrenzung der anderen gewesen“, erläuterte Antje Vollmer den jüngsten Vorschlag der Grünen. Stattdessen habe man versucht, einen Vorschlag zu machen, der es allen ermöglicht, eine Diskussion zu beginnen. Aussteigern genauso wie Nichtaussteigern. Charakteristisch für den Verlauf der Debatte waren die zwei Diskussionswel ten, die da aufeinanderprallten und die doch nicht zwei Welten sind. Einerseits die gewohnte politische Diskussion, meistens zu laut und polternd, effekthaschend, oberflächlich immer wieder bekannte eigene Positionen wiederholend, und auf der anderen Seite der seit fünfzehn Jahren einsitzende Klaus Jünschke, der für einen Tag auf Urlaub draußen war und unverbraucht mit hoher Konzentration die Diskussion auf die kritischen Punkte lenkte, vor allem auf die Haftbedingungen. Er war der Garant dafür, daß an diesem Abend die üblichen Rituale wohltuend immer wieder unterbrochen wurden und die Diskussion nicht ins Allgemeine abdriftete. Man spreche jetzt viel von Versöhnung, zitierte er einen anderen Häftling aus der RAF, „und setzt uns die Pistole an den Kopf und sagt, versöhnt euch“. So gehe das nicht. Wenn man zum Beispiel, wie Irmgard Möller, seit 15 Jahren in Kleingruppenisolation (zu dritt) im Knast sitze, dann sei das ein kaum auszuhaltender Ausnahmezustand. Er wolle die RAF–Gefangenen keinesfalls jetzt zu den „neuen Opfern“ stilisieren. Solange jedoch solche Haftbedingungen existierten, seien Lernprozesse nicht möglich. Es müsse aber die ganze Zeit daran gedacht werden, „daß wir andere zu Opfern gemacht, getötet haben“. Der Staat habe die 2.Generation der RAF, die sich fast ausschließlich aus sogenannten Folterkomitees zusammensetzte, selbst durch die Haftbedingungen erzeugt, unterstützte ihn Stefan Aust und hielt dies dem einstigen Innenminister Baum vor. Verblüffend war dessen Reaktion. Er stimmte der Einschätzung zu. Er sei auch für Normalisierung der Haftbedingungen. Aber welche Konsequenzen hat das heute, da Baum lediglich linksliberales Aushängeschild einer konservativ gewendeten Regierungs–FDP ist - zumindest in der Innenpolitik? Man müsse versuchen, den Verlust an Dialog wieder wettzumachen, meinte er denn auch leicht gequält. Vor zehn Jahren hätten die Menschen aufgewühlt auf die Morde der RAF reagiert und auch der Regierung habe es damals an Gelassenheit gefehlt. Aber Baum sagte auch, wenn die Diskussion heute vor dem Hintergrund eines Mordes vom selben Tag geführt würde, dann sähe sie wiederum anders aus. Klaus Jünschke, der die Diskussion in Köln als sinnvoll ansah, wies aber gleichzeitig darauf hin, daß die Gefangenen nach wie vor „Objekte sind, auch unserer Diskussion“. Das müsse sich ändern. Er forderte die Politiker auf, „Angebote zu machen und Lösungen anzubieten“ sowohl den Gefangenen als auch den noch Gesuchten. Zu den heutigen RAF–Mitgliedern meinte er: sie sind nicht besser oder schlechter als wir es damals waren, „heute sind sie halt völlig isoliert“. „Man muß die Brutalität ihrer Handlungen als Ausdruck maßloser Hilflosigkeit sehen.“ Baum war auf diesem Podium Symbolfigur der „bleiernen Zeit“. Eine Wahrheit mußte er sich aus dem Publikum zu Recht vorhalten lassen: „Der Dialog fängt immer erst an, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.“ Die Nachrichtenredaktion und Koordination der taz sucht E I N E R E D A K T E U R I N ..die weiß, daß sich eine Blattmacherin vor allem mit den Texten anderer abgibt. Und mit den eigenen Themen - denen der taz. ..Redakteurin, die vor allem den täglichen Überblick über die Nachrichtenlage behält, also Themen einschätzen muß und die tägliche Produktion koordiniert. Unser Angebot: zwar nur der dünne taz–Einheitslohn, aber dafür eine ganze Zeitung. Bewerbungen mit Arbeitsproben und Werdegang bitte an: die tageszeitung, c/o Andreas Rostek, Wattstraße 11–12, 1000 Berlin 65