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Archiv-Artikel

Verschwinden in Posen

Die Nachtseite der Generation Golf zwischen Popliteratur und Fin de Siècle: Der junge österreichische Autor Xaver Bayer tritt mit seinem neuen Roman, „Die Alaskastraße“, als ein Wiedergänger von Christian Kracht und Hugo von Hofmannsthal auf

von STEPHANIE WURSTER

Kann eine Flucht gelingen? Und wie sähe das aus? „Woher stammt der Einfall, es könne ein Ziel geben?“, räsoniert der junge Wiener Autor Xaver Bayer in einem Begleittext zu seinem Buch „Die Alaskastraße“. Bayer erzählt in seinem bereits zweiten, knapp 150 Seiten langen Roman von einer Flucht – einer synchronen und einer diachronen, wenn man die Roadnovel und die physische Einkapselung des Protagonisten getrennt betrachtet. Statt einem Plan folgt dieser Namenlose spärlichen Impulsen, mal nimmt er ein Flugzeug, mal verlässt er die Freundin.

Warum er das tut, erfährt man nicht – nur dass es so ist: Bayer erzählt in einem beherrschten, sauberen Ton, Schritt für Schritt, wie mit einer einzigen Brennweite. Er macht genau das, was die deutschen Popliteraten vor Jahren schon gemacht haben: Hedonismus, Protokollhaftigkeit, die totale Gegenwart. Schon in seinem Debütroman „Heute könnte ein glücklicher Tag sein“ zählte Bayer ähnlich wie Kai Damkoski in seinem Hamburgroman „Angst sucht Hase“ oder Benjamin von Stuckrad-Barre in „Soloalbum“ ausschnitthaft und linear die Stationen eines nicht eben bemerkenswerten Lebens auf: Junger Mann, der ausgeht und Freunde trifft, das war die ganze Geschichte. Allerdings mit einem starken Hang zu der sprichwörtlichen Wiener Melancholie. Eine Sehnsucht nach mehr, eben dem „glücklichen Tag“, zog sich durch das ganze Buch. Im letzten Bild sprang der Ich-Erzähler mit ausgebreiteten Armen von einer Felsklippe – allerdings nur in Gedanken. Wollte er wirklich sterben oder spielte er nur mit den Extremen?

In „Die Alaskastraße“ versucht er’s ernsthafter. Der Schluss gleicht einer Szene aus einem Kriegsfilm: Der nach ein paar Tagen Eremitendasein ziemlich ausgepowerte Protagonist rennt wie ein versprengter Soldat in der Hoffnung auf eine Medaille quer über ein abgeerntetes Feld, „mit einer Maschinenpistole wild um mich schießend“. Als er im Schutz des nächsten Baumes ankommt, weiß er: „Ich hatte meine Mission erfüllt.“ Cut. Der Kampf gegen die Einsamkeit der Gedanken scheint mit dieser überraschenden Wende eher verloren als gewonnen.

Wie auch die rechtfertigungsarme Flucht in Christian Krachts „Faserland“ vor inzwischen schon acht Jahren Leser und Kritiker verstörte, lässt einen auch „Die Alaskastraße“ ratlos zurück. Auch, weil der Gestus inzwischen schon sehr abgeerntet scheint – von wegen Ende der Popliteratur, jetzt aber wirklich!

Gerade deswegen lesen sich Xaver Bayers Texte auch als Hommage an und Vermächtnis der deutschen Popliteraten, als Statement eines noch sehr jungen Autors, der sein Thema vorerst im oberflächlich Privaten gefunden hat. Sprachlich will der 25-Jährige eh woanders hin als die größtenteils vom Pop- bzw. Gonzojournalismus kommenden Popliteraten. Seine Sprache ist wesentlich präziser und im klassischen Sinn literarischer. Die „Nachtseite der Generation Golf“ hat man ihn in Österreich genannt. Dazu passt das Autorenfoto, auf dem sich Bayer in einer Hofmannsthal’schen Fin-de-Siècle-Pose ablichten ließ: mit Schnurrbart, Jackett sowie Pomade im Haar. Die zwei steilen Falten zwischen der Nasenwurzel deuten an, dass diese Pose ernst gemeint ist.

Xaver Bayer: „Die Alaskastraße“, Jung und Jung Verlag, Salzburg 2003, 152 Seiten, 18 €