: Verschuldungsvorgabe überschritten
■ SPD: Sachverständigenrat kritisiert „unrealistische Zahlen des Finanzministeriums“
Bonn (dpa) — Die Vorgabe der Bundesregierung für die gesamtstaatliche Verschuldung in diesem Jahr in Höhe von 140 Milliarden Mark kann nach dem jetzigen Stand nicht eingehalten werden.
Während die westdeutschen Länder und Gemeinden von einem Gesamtdefizit in diesem Jahr von 23 Milliarden Mark ausgehen, hat das Bundesfinanzministerium dafür nur elf Milliarden Mark angenommen. Wie gestern bekannt wurde, ergibt sich das aus Unterlagen des Bundesfinanzministeriums für die am Mittwoch zunächst gescheiterten Verhandlungen mit den Ländern über eine neue Hilfsaktion für Ostdeutschland.
Außerdem sind bei der ERP-Wirtschaftsförderung bisher offenbar nur drei Milliarden Mark in die gesamtstaatliche Schuldenrechnung eingegangen, während das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage den inzwischen erfolgten Beschluß über einen Kreditbedarf von 7,1 Milliarden Mark bekräftigte. Aus beiden Differenzen zusammen ergibt sich ein neues Finanzloch von 16 Milliarden Mark.
Damit könnten bei Erreichen des Einsparziels von 35 Milliarden Mark allein im Bundesetat 1991 ohne zusätzliche Sparoperationen in den Ländern und Kommunen die insgesamt 140 Milliarden Mark Neuverschuldung nicht mehr erreicht werden. Darin enthalten sind nicht nur die neuen Schulden in den Haushalten von Bund (70 Milliarden), Ländern und Gemeinden, sondern auch die anteiligen Mittel des Fonds „Deutsche Einheit“ von etwa 35 Milliarden Mark sowie die ERP- und Lastenausgleichsmittel.
Weitere Probleme könnte es geben, wenn es beim erneuten Gespräch der Ministerpräsidenten bei Bundeskanzler Helmut Kohl am 28. Januar zu einer Aufstockung des Einheitsfonds auf dem Kreditwege käme oder die westlichen Länder zusätzliche Umsatzsteueranteile an die neuen Bundesländer nur bei gleichzeitiger Ausweitung der Schulden abgeben könnten. Eine solche Belastung des Kapitalmarkts könnte dann gemäß den Warnungen der Bundesbank die Zinsen endgültig zum Überschäumen bringen.
Der SPD-Politiker Joachim Poß erklärte, auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung habe seine Kritik „an den unrealistischen Zahlen“ des Bundesfinanzministeriums zum Ausdruck gebracht. Der Rat habe angenommen, daß Länder und Gemeinden 1991 eine um zehn Milliarden Mark höhere Nettokreditaufnahme hätten.
Poß erklärte, für die Länder ergebe sich aufgrund der letzten Steuerschätzung kein neuer Finanzierungsspielraum. Die von Waigel vorgeschlagene Abschaffung der Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer würde Länder und Gemeinden sogar noch zusätzlich mit rund neun Milliarden Mark belasten.
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