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Verschleierungstaktik

■ betr.: „Ich hatte das Gefühl, dieses Kind ist mein Besitz“, taz vom 4./5.10. 97

Mein Ärger beginnt beim Titel. Besitzanspruch ist kein Gefühl, sondern eine erlernte Art, mit Macht umzugehen, Macht einzusetzen. Gerade eine solche Aussage hätte einen guten Einstieg für einen kritischen Artikel geliefert. Schade um die verpaßte Chance.

[...] Auch empfinde ich es als verletzend, Verständnis für die seelische Notlage der Gewalttäterin zu wecken und für deren kostenintensive Therapie ihres Gewaltpotentials zu plädieren, ohne auch nur einen weiteren Blick auf die derzeitige oft katastrophale gesundheitliche und finanzielle Situation vieler Überlebender zu werfen. Und das, obwohl fehlendes Unrechtsbewußtsein nicht therapierbar ist; oder welche/r Mörder/in, Erpresser/in oder Steuerhinterzieher/in wird schon therapiert?

Ferner erkenne ich sexuelle Gewalttaten einer Frau durchaus nicht als ihre „schwache Seite“ an. Würgen, Schlagen, Begrapschen, Bedrängen, sich am Kinderkörper reiben, Drohen und Schuldgefühle erzeugen, um sich befriedigen zu lassen, und vieles mehr geschehen aus einer Position der Stärke, des Machtmißbrauchs einer erwachsenen Vertrauensperson heraus. Verharmlosende Sprache trägt zur Verniedlichung der Tat und Entschuldigung der Gewalttäterin bei, die eventuell selbst erlittene Gewalt nun an ihr Anvertraute und von ihr Abhängige weitergibt, sich also in jeder neuen Situation nicht gegen Gewalt, sondern für sie entscheidet. Daß ihr dieser Zusammenhang nicht bewußt sein soll, daß sie das Besitzen eines Menschen nicht als Sklaverei erkennt, daß sie die Anwendung von sexueller Gewalt zur eigenen Befriedigung nicht als verwerflichen Übergriff auf ein anderes Wesen benennt, erinnert mich erschreckend an Umbenennungen als Verschleierungstaktik, und das lassen gerade Feministinnen Männern interessanterweise nicht durchgehen.

Deren steigendes Interesse an sexuellen Gewalttäterinnen läßt Überlebende allein zurück. Wieder einmal sind sie unsichtbar geworden, wieder hören potentielle Helferinnen den Gewalttäterinnen zu, vereinen sich mit ihnen in wiedergewonnenem Frauenverständnis, zur Zufriedenheit aller Machthabenden. Zoe Meissner, Hamburg

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