: Verschärfter Streit um Kanzler–Vergleich
■ Zimmermann: DDR größtes Gefangenenlager der Welt / Grüne: Sprache von Faschisten und Militaristen / Wolf Biermann: Schlimmer als Terroristen
Von Klaus Hartung
Berlin (taz) - In dem eingefrorenen Winterwahlkampf scheint nun Kohl mit seiner Behauptung, es gebe Konzentrationslager in DDR, den Schlagabtausch der „heißen Phase“ losgetreten zu haben. Nachdem am Dienstag CDU– Sprecher Merschmeier Willy Brandt ein Zitat aus dem Jahre 1961 (“Ulbrichts Mammut–KZ“) vorgehalten hatte, betonte Brandt gegenüber der taz: „Polemiken aus der Zeit des vorigen Kalten Krieges vertragen sich weder mit den Einsichten, die wir seitdem gewonnen haben, noch mit Pflichten, die wir der Zukunft wegen auf uns nahmen.“ Der Parteivorsitzende der SPD wird sich am Freitag dazu äußern. Das war der einzige verhaltene Ton in dem sich verschärfenden Streit. Der CDU–Flügel, der immer wieder die nicht stattfindende Wende in der Deutschlandpolitik einklagte, sieht jedenfalls die Chance, nachzukarten. Generallinie: Bei der Entspannungspolitik „die Ursachen von Spannung beim Namen nennen“ (Stercken, CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses). Auch CSU– Landesgruppenchef Waigel sprach mit deutlichen Zwischentönen von einer „realistischen Entspannungspolitik, die die Spannungsursachen nicht außer acht läßt“. Die Ostverträge hätte für einen Friedensvertrag „keine Bindewirkung“. Otto von Habsburg meinte, Kohl habe eher untertrieben, schließlich sei die DDR „ein einziges riesiges Konzentrationslager“. Innenminister Zimmermann bezeichnete die DDR „als größtes Gefangenenlager der Welt“. Für die Grünen erklärte Lukas Beckmann, Zimmermann habe „als letzter das Recht“, Unfreiheit in der DDR zu brandmmarken. Friede und Freiheit immer „nur ideologisch und nicht grundsätzlich wahrzunehmen“, sei „charakteristisch für Militaristen und Faschisten“. Fünfzehn ehemalige politische Gefangene aus der DDR, z.T. organisiert in der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, legten einen Offenen Brief vor: In ihm dankten sie zwar dem Kanzler, auf die „unmenschlichen“ Zustände in der DDR hingewiesen zu haben. Fortsetzung auf Seite 2 Die Verwendung des Begriffs Konzentrationslager halten sie aber „in diesem Kontext für ungeeignet.“ In dem Schreiben heißt es, es sei verständlich, daß manche den Begriff Konzentrationsla ger in diesem Zusammenhang für mißverständlich halten, denn es sei „nun einmal durch Stalin und Hitler zu einem Synonym für Massenvernichtung geworden.“ „Die täglich erlebbaren Schikanen, Zwangsarbeit, minderwertige Ernährung“ sowie eine „miserable medizinische Betreuung in den meist überbelegten Zuchthäusern und Arbeitslagern“ ließen sich mit den Verhältnissen in den „nationalsozialistischen Konzentrationslagern vergleichen“, schrieb die Gruppe. „Wir konnten als politische Gefangene der SED–Justiz psychische und oft auch physische Gewaltanwendung, studieren“. Der 1976 aus der DDR ausgebürgerte Wolf Biermann empfindet die Kohl–Äußerung als „Verhöhnung der Millionen Opfer in den faschistischen Konzentrationslagern“. „Diese Verharmlosung der Nazi–Verbrechen aus dem Munde des Bundeskanzlers bedeutet eine noch schlimmere Verwüstung der politischen Landschaft als alles, was Terroristen bisher verbrochen haben.“ KH
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