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■ Vernichtung von 3.300 Reagenzglas-Embryonen in EnglandHigh-Tech-Moral

Fast jede Art der Produktion bringt ein bestimmtes Quantum an Abfall mit sich. Das ist bei gentechnologischer Forschung am menschlichen „Kern“ und ihrer Nutzung nicht anders als bei der Spaltung und Verschmelzung von Atomkernen. Seit gestern vergrößern nun 3.300 verwaiste Embryonen den Müllberg der biotechnischen Wissenschaft. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Daß in der Auseinandersetzung um die Emryonen Begriffe wie „Kernverschmelzung“, „Zwischenlagerung“ und „Entsorgung“ fielen, ist gewissermaßen der symbolische Fallout der umfassenden Industrialisierung menschlichen Lebens.

Das Gezeter, das vom Vatikan über diverse Lebensschutzorganisationen bis hinein in frauenbewegte Kreise erhoben wird, ist kein wirklicher Widerspruch zu dieser Tendenz – ebensowenig wie das Angebot italienischer Frauen, die ihren Bauch als Fluchtort für „das Leben“ anboten. Denn in unserer Zeit ist die wissenschaftliche Definition dessen, was „Leben“ ist, längst irreversibel getrennt von der Vorstellung des nicht teilbaren Menschen. Da macht es es wenig Sinn, dieses „Individuum“ nun zu beschwören und wiederherzustellen. Insofern ist die Weigerung der Londoner Regierung, die Embryonen nach Italien zu transferieren, nur konsequent.

Anachronistisch allerdings wirkt die Londoner Begründung, das private Verfügungsrecht der Spender über die jeweiligen Embryonen dürfe nicht angetastet werden. Denn daß „der Bauch“ nicht der Frau gehört, haben wir in der jahrzehntelangen Abtreibungsauseinandersetzung, in der gerade „das Leben“ gegen Frauen ausgespielt wurde, lernen müssen. Warum sollte dies für Ei- und Samenzellen nicht gelten?

All dies ist kein Anlaß für Zynismus. Der „Abfall“ aus der Reproduktionstechnologie mag beklagt werden – vor allem veranlaßt er auch, darüber nachzudenken, ob die sentimentale Inobhutnahme von Embryonen die Machenschaften der biotechnischen Industrie nicht ebenso bejaht wie letztlich der Klingelbeutel die Ausbeutung der armen Länder. „Embryonen“ brauchen kein Mitleid, sondern eine neue Moral. Ulrike Baureithel

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