Vermarktungsstrategien im Musikgeschäft: Mutter zu verkaufen
Die Absatzkrise im Musikgeschäft macht erfinderisch: Maria Carey wurde zum Ganzkörperprodukt, die Berliner Band Mutter verkauft sich lieber direkt an ihre Fans.
Sie sind Musikfan? Werden Sie doch lieber Teilhaber! Sie haben als kleiner Junge davon geträumt, in einer Band zu spielen? Vorbei, aber heute gibt es längst Besseres: Gläubiger einer Band! Früher standen Sie am dunklen Bühnenausgang in der Hoffnung auf ein Interview? Heute kann Ihnen der ganze Laden gehören!
Okay, zumindest ein Teil des Ladens. Denn angesichts der Absatzkrise im Geschäft mit Musik verändern sich auch die Methoden dramatisch, mit denen Musiker versuchen, noch Geld zu verdienen. Immer mehr von ihnen zeigen sich dabei ganz besonders findig: und verkaufen sich gleich direkt an ihre Fans.
Aktuellstes Beispiel für diese Tendenz: Mutter, eine von den Kritikern hochgeschätzte Rockband, die bislang kommerziell ernüchternd erfolglos geblieben ist. Die Band aus Berlin gibt seit Mittwoch exakt 99 "Teilschuldverschreibungen" aus, um ihr kommendes Album mit dem Titel "Trinken Singen Schießen" zu finanzieren. Mit 100 Euro ist der Kleinanleger dabei, "er erwirbt ein rechtskräftiges Wertpapier" und erhält dafür einen von Max Müller, dem Sänger der Band, gestalteten Schuldschein, eine Kaltnadelradierung "gedruckt auf feinem Büttenpapier", und die Versicherung, auf dem Plattencover des Albums namentlich erwähnt zu werden.
Man schlägt also gleich mehrere Fliegen: Man kann Mutter kaufen und einen Teil einer Rockband besitzen, aber auch sein Geld solide anlegen für ein Stück Kunst aus einer Kleinstauflage nämlich. Außerdem erfüllt sich auf diese Weise der Jungstraum, endlich einmal seinen Namen auf einem Plattencover zu lesen.
Die Börsenanalysten aber warnen: Rasante Kursausschläge in die Gewinnzone sind von diesem Zertifikat nicht zu erwarten. Hat das ausgebende Unternehmen doch in den vergangenen Jahren nicht eben gerade überragende Zahlen vorgelegt. Mutter waren immer ein Liebhaberprojekt: musikalisch radikal, inhaltlich sperrig und mit überschaubarer Reichweite. Das führte dazu, erzählt Max Müller, dass die Band bei den zurückliegenden Verhandlungen mit Plattenfirmen immer wieder den Vorschlag zu hören bekam, "denen was dafür zu zahlen, dass sie unsere Platte rausbringen dürfen".
Dieser Artikel erscheint am 28./29. November in der sonntaz. Außerdem gibt es Texte unter anderem über den gescheiterten Bio-Fastfood-Pionier Matthias Rischau, über Allwetter-Reifen als Klimakiller, ein neues Buch über die schmutzige Welt des Öls – und eine Kolumne über Amt und Karossen von Politikern.
Früher war das tatsächlich einmal anders. Da wurden Bands dafür bezahlt, eine Platte aufzunehmen. Doch die vier größten Plattenfirmen, Majors genannt, verkaufen nur noch ein Drittel so viele physische Tonträger wie im Jahr 2000. Und auch kleineren, unabhängigen Plattenfirmen geht es nicht viel anders.
Angesichts marginaler Verkaufszahlen erscheinen viele Platten mittlerweile von vornherein nur mehr als digitaler Download. Eine Band wie Nine Inch Nails stellt ihre Musik gleich umsonst ins Netz. Oder die Plattenfirma Motor Music bietet ihr Know-how unter dem Motto "Rent a Record Company" den Musikern an und verzichtet freiwillig auf ihre vornehmste traditionelle Aufgabe: die Qualitätssicherung für den Konsumenten. Manchen Musikern gefällts: Zuletzt nutzte Marius Müller-Westerhagen das Angebot.
Natürlich: Die Ausgabe der Mutter-Schuldscheine ist vor allem erst einmal Aktionskunst. Mit der Botschaft, so Müller, dass man als Künstler "so unabhängig wie möglich bleiben sollte". Ein Kommentar also zur aktuellen Lage der Musikindustrie. Aber auch mehr, nämlich ein Symptom für die Ratlosigkeit von Musikschaffenden. Die nämlich müssen sich auf völlig veränderte Marktbedingungen einstellen. Und wissen schon seit geraumer Zeit nicht mehr, wie sie von ihrer Musik noch leben sollen. Denn mit dem Verkauf von CDs allein ist ein Auskommen kaum noch möglich, mithin die Kreativität der Künstler auch in kommerziellen Dingen gefragt.
Und die sind kreativ: Die Hamburger Band Angelika Express bezahlte die Aufnahmen für ihr letztes Album "Goldener Trash" mit der Ausgabe von Aktien. 500 Anteile zu 50 Euro Nennwert wurden ausgegeben. Die Aktion war ein voller Erfolg, mehr als 1.000 Anfragen gingen ein. Die Aktie war so schnell überzeichnet, dass die Anteile verlost werden mussten.
Bereits seit geraumer Zeit finanzieren die Einstürzenden Neubauten ihre Plattenaufnahmen durch ein sogenanntes Supporters-Modell. Die Unterstützer bekamen für ihren regelmäßigen Beitrag Zugang zu exklusiven Aufnahmen, aber konnten übers Internet ihren Lieblingen auch live beim Musikmachen zusehen und mit den Bandmitgliedern chatten. Eine Art demokratisiertes Mäzenatentum für die Massengesellschaft, Individualitätsanschein inklusive.
Längst aber gehen auch die größten Namen neue Wege: Schon vor zwei Jahren verließen Madonna und Jay-Z ihre Plattenfirmen und unterschrieben beim Konzertveranstalter Live Nation einen Rundumsorglosvertrag. Klar wurde damit vor allem eins: Die Veröffentlichung von Tonträgern, aber auch der legale Download über das Internet werden in Zukunft kaum mehr sein als eine Ergänzung zum Live- und Merchandising-Geschäft. Künftig wird man nicht mehr Musik verkaufen, sondern mit Musik andere Produkte. Die Musik wird zur Dreingabe.
Ein Trend, den Maria Carey auszuschlachten gedenkt. Die amerikanische Schnulzensängerin hat unlängst ein neues Album veröffentlicht. Mancher mag "Memoirs of an Imperfect Angel" als Kunst im klassischen Sinne einschätzen.
In erster Linie aber ist es vor allem eine gute Gelegenheit, die vielen anderen Aktivitäten des Ganzkörperprodukts Carey ins rechte Licht zu rücken: vom Parfüm "Forever" über die Sektmarke "Angel", Kosmetika und Bekleidung bis zu Reisen auf die Bahamas. Die Produktpalette wird ständig weiter vervollständigt, aber Carey leiht nicht nur ihr Gesicht: Sie ist kein traditioneller Werbeträger mehr, der nur ein Honorar erhält. Carey ist schlauer, sie wird selbst zum Unternehmen: Die Produktlinien und die Firmen, die sie herstellen, sind zumindest in Teilen in ihrem Besitz und sind mithin direkt an den Gewinnen beteiligt.
Das Modell Mutter ist ein anderes. Ein Gewinn ist nicht zu erwarten, eine Ausschüttung gar nicht erst vorgesehen. Ja, nicht einmal das noch zu entstehende Album bekommt der Gläubiger zum Vorzugspreis. Dafür aber ein seltenes Gefühl, nämlich gebraucht zu werden. Mit der Ausgabe der Schuldverschreibungen, so formuliert es die Band, "liefern wir uns aus. Wir begeben uns in die Hände unserer FreundInnen, UnterstützerInnen und Fans".
Im Gespräch offenbart Sänger Müller die andere Seite der Medaille. Die Krise ist für eine Band wie Mutter, die schon immer an den Rändern agierte, auch eine Chance, eine Befreiung gar: "Durch das Internet ist alles freigegeben. Es mag auch beliebiger geworden sein, aber Originalität oder Qualität sind niemals Krisen unterworfen."
Vielleicht. Vielleicht aber ändert sich gar nicht so viel. Denn wie man das Kindchen auch tauft, wem auch immer man sich verkauft, Mäzenen, Aktionären oder Unterstützern: Schlussendlich geht man auf diesem Weg eine Abhängigkeit ein und damit auch das Risiko der Einflussnahme. Die künstlerische Freiheit, die sich viele Musiker in den letzten Jahrzehnten gegenüber ihren Plattenfirmen erarbeitet hatten, könnte so im allgemeinen Umbau der Musikindustrie womöglich auch wieder verloren gehen.
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