Verleihung des Bundesverdienstkreuzes: Späte Ehre für Lisel Mueller
Die Dichterin floh vor den Nazis in die USA, erhielt den Pulitzer Preis, in Deutschland ist sie kaum bekannt. Nun erhält sie das Bundesverdienstkreuz.
Na, dann müssen’s halt andere tun: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der am 8. Februar 1924 als Elisabeth Neumann in Hamburg geborenen Poetin, die seit 1939 in Illinois lebt, das Bundesverdienstkreuz verliehen. „Lisel Mueller wurde für ihre Verdienste als Lyrikerin und Übersetzerin ausgezeichnet“, so das Ordensreferat. Gewürdigt werde ihr Lebenswerk. Allen Bemühungen der taz zum Trotz ist das in Deutschland noch immer so gut wie unbekannt, obwohl es ihr international renommierte Auszeichnungen wie den National Book Award und den Pulitzer Prize eintrug.
Denn Mueller schrieb stets in der Sprache Amerikas. Des Landes, das sie gerettet hatte, wie es in einem ihrer Gedichte heißt: Als Schabernack der Geschichte und unverdientes Glück bestimmt sie darin die Tatsache, dank der Flucht ihrer politisch verfolgten Familie weder Täterin noch Opfer geworden, dem NS-Terror entronnen zu sein. Ein Überlebensschuldsyndrom?
Feste literarische Größe
Etwas in der Richtung, ja. Aber eigentlich hat Mueller meist fast schon trotzig darauf insistiert, schrecklich gesund zu sein, ein furchtbar glückliches Leben zu führen, eine ewige Ehe, zwei liebevolle und kluge Töchter, Eigenheim mit Garten im idyllischen Lake County, langweilig wie nur was. Mit anderen NS-Flüchtlingen wie dem Dichter Felix Pollak oder dem Regisseur John Reich vernetzt sie sich. Sie übersetzt Hugo von Hofmannsthal, Anna Mitgutsch und Marie Luise Kaschnitz, wird zu einer treibenden Kraft bei der Gründung des Chicago Poetry Center und zur festen Größe im literarischen Leben der Stadt. Und Chicago galt damals vielen als das literarische Zentrum der USA.
„Ich bin ganz aus dem Häuschen, so sehr freue ich mich darüber“, hatte Kirsten Kappert-Gonther die Ordensverleihung via Facebook kommentiert: Die grüne Bundestagsabgeordnete hatte Mueller fürs Verdienstkreuz vorgeschlagen und im Kulturausschuss des Bundestags in den eigenen Reihen, aber auch parteiübergreifend von CDU bis zur Linkspartei UnterstützerInnen geworben. Diese fabelhafte Dichterin von höchster Stelle für ihr Lebenswerk zu würdigen sei „notwendig“, so Kappert-Gonther zur taz.
Mueller lebt heute zurückgezogen in einem Altenheim in Chicago. Begonnen zu dichten hatte sie erst 1954, nach dem Tod ihrer Mutter; eine Augenerkrankung fing schon in den 1990ern an, ihr Schreiben zu behindern. Seit ihr Mann Paul E., mit dem sie 57 Jahre verheiratet war, Anfang 2001 starb, hat Mueller nichts mehr veröffentlicht.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt