Verleger über Urheberrecht: „Ein Roman ist kein Tweet“
Die Open-Source-Idee setzt die Buchbranche unter Druck. Die Verlage sind keine Platzhirsche mehr. Der DuMont-Verleger Jo Lendle hält sie dennoch für unverzichtbar.
taz: Herr Lendle, in einem Beitrag zur Urheberechtsdebatte für die Welt haben Sie kürzlich an „Piratensympathisanten“ gerichtet geschrieben, „die meisten Verlage würden mit Sparbüchern besser fahren als mit Büchern“. Basieren bestimmte Argumente, die in dieser Debatte kursieren, darauf, dass die Leute gar nicht wissen, wie die Buchbranche funktioniert?
Jo Lendle: Vor allem wissen die meisten nicht, wie ein Buch kalkuliert wird. Man kann das einem normalen Leser nicht vorwerfen. Es ist halt nur verstörend, wenn sich jemand lautstark an der Debatte beteiligt, der keinerlei Hintergrundkenntnisse hat.
Könnte man auch selbstkritisch sagen, dass das Bild der Buchverlage in Teilen der Öffentlichkeit ist, wie es ist, weil es die Branche in den letzten Jahren versäumt hat, ein realistisches zu vermitteln?
Wir vermitteln das eigentlich immer ganz gern, bei DuMont gab es sogar mal einen Dokumentarfilm aus dem Inneren der Blackbox Verlag: „Houwelandt – ein Roman entsteht“. Und die Verlage haben im Zuge der Novellierung des Urhebervertragsrechts schon vor Jahren Kalkulationen offengelegt.
Aber der gewöhnliche Kulturkonsument weiß doch nicht, dass die Verkaufszahlen manches sehr guten, in der Presse rauf und runter gelobten Romans sich oft nur im niedrigen vierstelligen Bereich bewegen.
Damit gehen wir nicht hausieren, weil wir den einzelnen Autoren und sein Werk nicht beschädigen möchten. Aber dass die Mischkalkulation prinzipiell zu unserer, Angela Merkel würde sagen: Staatsräson gehört, ist ein offenes Geheimnis.
geboren 1968 in Osnabrück, ist Autor und seit 2010 Verleger des DuMont Buchverlags. Nach einem Studium der Kulturwissenschaften gab er die Zeitschrift Edit heraus und arbeitete als Gastprofessor. Zuletzt erschien von ihm der Roman "Alles Land" (DVA, 2011).
Die FAZ hat kürzlich mit Bezug auf eine Piratin geschrieben, bei ihr sei ein „Künstlerhass“ zu beobachten, den es in der Form „nur in den schlimmsten Spießerzeiten der CDU in den fünfziger Jahren gegeben“ habe. Spüren Sie den in der Debatte manchmal auch?
So weit würde ich nicht gehen. So lange die Diskussionen nicht von Grobheiten geprägt sind, finde ich sie durchaus anregend. Ich bin auch gern bereit, meine Sichtweisen infrage zu stellen. Man geht anders an Produkte heran, wenn man viel im Netz unterwegs ist. Wenn man mit der Open-Source-Idee aufgewachsen ist, wenn man sich auf Wikipedia tummelt, wenn man freie Programme teilt, an denen viele Hände mitgearbeitet haben – dann kriegt man ein anderes Gefühl für die Früchte geistiger Arbeit, und diese Aspekte finde ich interessant und bedenkenswert.
Nur, dass sich die Entstehungsweise eines Beitrags für eine Onlineenzyklopädie oder die einer Software nicht auf künstlerische Produkte übertragen lässt.
Eben, das ist der entscheidende Unterschied. Ich gestehe sofort zu, dass im Netz eine Kultur des Austausches und des Teilens entstanden ist, die ich begrüße. Da hinein gehören so wenig limitierende Spielregeln wie möglich. Aber ein ganzer Roman ist noch mal etwas anderes als ein Tweet. Und wenn dann jemand daherkommt und sagt, ein Roman gründe immer auf Vorhergehendem und sei insofern keine originäre Leistung, ist das mit dieser Schlussfolgerung einfach Quatsch. Es ist nicht das Alphabet, sondern das, was man daraus macht. Auch dem Architekten, der jedes Mal wieder vier Wände und ein Dach neu zusammenkomponiert, wirft man nicht vor, seine Leistung habe keine eigene Schöpfungshöhe.
In der Debatte fällt auf, dass sich die Schriftsteller verhältnismäßig positiv über die Verlage äußern. Im Journalismus ist das nicht so. Hat die Buchbranche zu Recht ein so gutes Image?
Die Verträge mit den Autoren sind nach allgemeinem Dafürhalten korrekt. Es gibt, anders als im Journalismus oder beim Film, keine Total-Buy-out-Vereinbarungen. Wir haben allerdings eine Auseinandersetzung mit den Übersetzern, die sich nicht ausreichend honoriert fühlen.
Sie sind als Geschäftsführer des DuMont Buchverlags so genannter Verwerter und in Ihrer Eigenschaft als Romanautor für DVA auch Urheber. In der Musikbranche gibt es das ja häufiger, dass Labelbesitzer selbst Musiker sind. Sind solche Doppelrollen in der Buchbranche seltener?
Vermutlich, obwohl ich nicht der Einzige bin. Michael Krüger etwa, der Verleger des Hanser-Verlags, veröffentlicht eigene Bücher bei Suhrkamp.
Manche Urheberrechtskritiker, die zumindest vorgeben, sie argumentierten im Sinne der Künstler, wenn sie gegen die Verwerter zu Felde ziehen, können sich so eine Doppelfunktion wohl gar nicht vorstellen.
Ich finde es immer ganz anregend, nicht nur eine Rolle einzunehmen, sondern zum Beispiel auch zu schauen, was eigentlich in meinem Autorenvertrag drinsteht. Außerdem bin ich drittens ja auch Leser oder Musikhörer und beobachte, wie sich mein Einkaufs- und Rezeptionsverhalten mit dem Aufkommen von iTunes und E-Book-Stores verändert hat.
Hat es sich signifikant verändert?
Was Musik angeht, ja. Ich kaufe mehr Dateien als physische Produkte.
Glauben Sie, dass die Fronten in der Urheberrechtsdebatte aufweichen könnten?
Die Fraktionen sind nicht immer so klar abzugrenzen. Ich kenne einen nerdigen Schriftsteller, der sich sagt: Ich verkaufe sowieso nichts, ich stürze mich jetzt mal ganz auf diese Idee, dass alles allen gehört und sowieso jeder ein Urheber ist. Wichtig wäre, dass die sofort einsetzenden Reflexe aufhören, dieses berühmte „Früher haben wir doch auch Kassetten überspielt“. Ja, haben wir. Und so etwas soll auch nicht strafbar gemacht werden. Aber es hat mit unserer Situation heute nicht viel zu tun, damit lässt sich in der digitalen Welt schlecht argumentieren. Abgesehen davon finde ich, dass wichtiger als ein reformiertes Urheberrecht eine tolerantere Handhabung des Zitatrechts ist.
Inwiefern?
Ich beobachte gerade neugierig die Diskussionen um Kleinstnutzungen, zum Beispiel die Debatte um Leistungsschutzrechte, die die Zeitungsverlage angestoßen haben. Da stehe ich auf der anderen Seite.
Also nicht auf der Ihrer Verlegerkollegen, die dafür Geld sehen wollen, dass Suchmaschinen und andere Plattformen auf Textschnipsel von Zeitungen zurückgreifen?
Auch diese Diskussion verfolge ich durchaus als Konsument. Ich beobachte skeptisch, dass Zeitungsverlage Künstler belangen, die ein Lob aus einer Zeitung auf ihrer Website veröffentlichen. Da würde ich mir mehr Toleranz wünschen, so dass in dem Bereich irgendwann einmal Rechtssicherheit herrscht. In dem Bereich Zitat- und Kleinnutzungsrecht gibt es Grauzonen, das merken wir auch hier im Verlag. Was ist, wenn ein Autor in einem Roman eine Songzeile zitieren will? Fragt man da beim Rechteinhaber an oder nicht?
Die Frage hat sich doch auch in Prä-Internet-Zeiten schon gestellt.
Ja, aber solche Fragen werden von der aktuellen Diskussion über das Urheberrecht in der digitalen Welt beeinflusst, sie bekommen eine andere Dynamik.
Die Debatte scheint auch die Position jener zu stärken, die der Auffassung sind, Schriftsteller seien besser dran, wenn sie die Verlage umgehen. Es gibt ja bereits Beispiele dafür, dass Autoren ihre E-Books selbst herausbringen oder die entsprechenden Rechte an Amazon verkauft haben.
Natürlich verändert sich die Position der klassischen Verlage. Es ist völlig in Ordnung, dass Veränderungen stattfinden, dafür ist das Internet auch da.
Was entgegnen Sie jenen, die die Buchverlage bereits für obsolet halten?
Wenn es keine Filter gibt, herrscht erst einmal Rauschen. Das Rauschen zu dämmen, ist das Versprechen von Institutionen wie einem Buchverlag. Ich glaube, dass diese Arbeit auch weiterhin geschätzt werden wird. Es ist kein wahnsinnig großes Vergnügen, ein unlektoriertes Buch zu lesen. Diese Erfahrung muss vielleicht erst noch gemacht werden. Sowohl die Auswahl des Programms als auch die Begleitung eines Buchs von der Entstehung bis zur Fertigstellung sind wichtige Aufgaben. Wir werden Systeme nebeneinander haben; genauso wie wir das E-Book neben dem gedruckten Buch haben werden, wird es das klassische Buchgeschäft geben neben einem Buchgeschäft ohne Verlage, wie wir sie kennen.
Hat Ihr Verlag nennenswerte Probleme aufgrund von E-Book-Piraterie?
Die sind feststellbar, aber sie sind sehr schwer zu quantifizieren, weil die Downloadzahlen kaum zu erheben sind. Und Einbußen lassen sich schon deshalb schlecht berechnen, weil man nie weiß, wie viele illegale Downloader das jeweilige Buch wirklich gekauft hätten. Natürlich wird sich die Situation durch die stärkere Verbreitung von funktionalen E-Readern verschärfen. Bis vor einiger Zeit war es ja noch nicht sonderlich angenehm, ein Buch am Bildschirm zu lesen.
Recherchiert DuMont die illegalen Downloads selbst, oder beauftragen Sie dafür Dienstleister?
Im Augenblick nicht, obwohl wir durchaus mit dem Gedanken spielen. Nicht, weil wir einzelne User abmahnen wollen, sondern um die Filesharing-Plattformen schneller bremsen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour