Verkrampfte Hamburger: Ein Sieg der Leichtigkeit
Der HSV Handball verlor das vorentscheidende Spiel um die deutsche Meisterschaft und muss auf einen Ausrutscher Kiels in Großwallstadt hoffen. Trainerdiskussionen soll es trotzdem nicht geben.
"Und schon wieder keinen Titel HSV", skandierte das mitgereiste Grüppchen Kieler Fans vor der Arena, während 13.000 Hamburger geknickt von dannen schlichen. Der Schmähruf entsprach zwar nicht ganz der Realität, hatte der HSV Handball doch vor sechs Wochen an gleicher Stelle immerhin den DHB-Pokal gewonnen. Er traf dennoch tief ins Hamburger Handballer-Herz, das sich nichts sehnlicher wünscht, als den ungeliebten Kielern endlich das Dauerabonnement auf die Meisterschaft zu entreißen. Und damit wird es nach dem 31 : 33 am Samstag auch in diesem Jahr höchstwahrscheinlich nichts.
"Wir haben ein paar Spezial-Kompetenzen im Team", sagte der Kieler Weltklassespieler Kim Andersson kurz nach dem Schlusspfiff. So konnten sogar die verletzten Spieler noch ihre speziellen Fähigkeiten einbringen. Momor Ilic humpelte mit seinem stark bandagierten rechten Bein dreimal erfolgreich zum Siebenmeterpunkt und Andersson selbst sorgte auf Krücken für die ersten Analysen. Entscheidend aber war die Fähigkeit des gesunden Filip Jicha, einfach mal aus 15 Metern abzuziehen. "Kiel konnte viele leichte Tore erzielen", monierten Bundestrainer Heiner Brand und HSV-Coach Martin Schwalb im Gleichklang.
Die in Bestbesetzung angetretenen Hamburger taten sich dagegen von Beginn an schwer, Lücken in der offensiven Kieler Abwehr zu finden. Die agierte überraschend in 3 : 2 : 1-Formation und attackierte die Hamburger Rückraumschützen aggressiv. Egal ob Hens, Lackovic oder die Lijewski-Brüder - in der ersten Viertelstunde traf keiner von ihnen. Allein der sichere Siebenmeter-Schütze Hans Lindberg und Torwart Jogi Bitter sorgten dafür, dass die Hamburger den Rückstand knapp hielten.
Nach der Pause spielte zwar der eingewechselte Domagoj Duvnjak mit sieben Treffern groß auf, das Team wurde aber nie die Verkrampfung los, die der Finalcharakter der Begegnung offenbar in ihnen auslöste. Die große Chance, mit einem Sieg erstmals deutscher Meister zu werden, lähmte ihre Aktionen. Auch Heiner Brand zeigte sich überrascht, "wie nervös der HSV" war. In den letzten 12 Minuten raubte ihnen Kiels 41-jähriger Ersatztorwart Peter Gentzel mit großartigen Paraden zusätzlich den Nerv.
"Wir haben nur Gewinner in der Mannschaft", versuchte Kim Andersson die mentale Überlegenheit der abgebrühten Kieler zu erklären. Es beansprucht das Nervenkostüm einer Mannschaft eben unterschiedlich stark, ob sie zum 16. oder zum ersten Mal einen Titel gewinnen kann. Aus dem Hamburger Weltklasse-Ensemble konnten unter dem Druck nur die drei Spieler Bitter, Lindberg und Duvnjak ihre volle Leistungsfähigkeit aufs Parkett bringen.
Als Martin Schwalb in der 58. Minute den Torwart aus dem Spiel nahm und die Kieler postwendend zur Vier-Tore-Führung ins leere Tor trafen, verließ HSV-Präsident Rudolph resigniert die Halle. Die Vermutung einiger Medien, bei einer Niederlage seines Team würde er zur Trainerschelte ansetzen, bestätigte sich anschließend nicht. "Wir sind sehr enttäuscht", sagte der HSV-Boss, "aber eine Trainerdiskussion ist absoluter Unsinn."
Bei den Hamburger Spielern, die wie ihre Fans fast allesamt mit den Tränen kämpften, glaubt niemand mehr an einen Ausrutscher der Kieler in den letzen beiden Saisonspielen, der ihnen doch noch zum Titel verhelfen könnte.
Kiels Trainer Alfred Gislason ist da vorsichtiger und warnt vor allem vor der Auswärtspartie in Großwallstadt am letzten Spieltag. "Das ist das schwerste Spiel der Saison." Aber erstmal wartet das Final Four in der Champions League am kommenden Wochenende in Köln. Gegen Ciudad Real wird es im Halbfinale keine leichten Tore geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag