Verknobeln: Ostfriesen würfeln um die Wurst
■ Am Abend vor Nikolaus ging es traditionell um Kuchen und Wurst
Norden. In Ostfriesland sind am Sonntag mal wieder die Würfel gefallen: Viele tausend Landsleute spielten beim traditionellen „Verknobeln“ mit. Dabei ging es wie in jedem Jahr am Abend vor Nikolaus im wahrsten Sinne des Wortes um die Wurst, um Schinken, Geflügel, Torten und andere Leckereien. Sie gehörten jeweils dem Mitspieler, der mit drei Würfeln die höchste Augenzahl erreichte.
Die Spieleinsätze richten sich beim Verknobeln nach den Gewinnen. Gewürfelt wird daher – je nach dem Wert der ausgelobten Lebensmittel – in unterschiedlich großen Gruppen. Damit jedoch aus dem Würfelspaß nicht Glücksspiel-Ernst wird, ist der Einsatz je Spiel und Spieler amtlich auf drei Mark begrenzt. Gewürfelt wird traditionell in Bäckereien und Schlachtereien, Lebensmittelläden, Vereinsheimen und ähnlichen Orten.
Eine ungewöhnliche Atmosphäre für das Nikolaus-Spiel bot am Sonntag das Alte Rathaus von Norden (Kreis Aurich). Es beherbergt unter anderem das Ostfriesische Teemuseum. An drei Tischen in historischem Gemäuer erschallte nach dem hellen Klackern der Würfel das freudige „Ah“ der Gewinner und das enttäuschte „Oh“ von Verlierern.
Für Kinder gab es bei Einsätzen zwischen 20 und 50 Pfennig Süßigkeiten. Erwachsene durften für Stollen und deftige Mettwurst bis zu zwei Mark je Wurf anlegen. Gut 200 Ver-knobler räumten bis auf wenige Reste in drei Stunden die nahrhaften Gewinne. Derweil machte „Sünnerklaas“ – so heißt der Nikolaus auf Friesisch – mit seinem Pferd die Runde durch das vorweihnachtlich geschmückte Norden und bescherte Kinder.
Die Aufsicht an den Würfeltischen in der Diele des Alten Rathauses führte der Vorsitzende des Norder Heimatvereins, Friedrich Backer. Für ihn ist das Verknobeln ein Stück „bewahrenswertes ostfriesisches Brauchtum“.
Um Einnahmen für die Veranstalter gehe es dabei ohnehin nicht. „Wenn wir am Ende 100 Mark für das Museum übrig behalten, geht das in Ordnung“, sagte Würfelchef Backer. Wenn nichts übrig bleibe, sei das auch nicht schlimm. „Hauptsache die Leute haben ihren Spaß, und es wird nicht übertrieben“, meint der traditionsbewusste Ostfriese.
Heftige Irritationen hatte es in diesem Jahr im Vorfeld des traditionellen Verknobelungs-Tages gegeben. Weil er auf einen Sonntag fiel, gab es in zuständigen Amtsstuben mit Blick auf Feiertagsgesetz und Ladenschlussgesetz Bedenken. Die räumte im November noch rechtzeitig der Oldenburger Regierungspräsident Bernd Theilen (SPD) aus. Die Ostfriesen dürften ihren Brauch auch an Sonntagen im gewohnten Umfang genießen, entschied Theilen.
Der Ursprung der Verknobelung liegt nach Aussagen von Heimatforschern weitgehend im Dunkeln. Gesichert erscheint ihnen dagegen ein besonderes Verhältnis der Ostfriesen zum Nikolaus. Der Heilige gilt als Schutzpatron der Kaufleute und Seefahrer. Von ihnen stammten in den vergangenen Jahrhunderten viele aus Ostfriesland.
Manfred Portz/dpa
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