Verkehr: Die Stadt kommt unter die Räder
Lastenräder und Elektrobikes machen in Berlin langsam, aber sicher dem Auto Konkurrenz.
Auf die Suche nach dem perfekten Transport- oder Elektrofahrrad kann man sich dieses und nächstes Wochenende gleich auf zwei großen Fahrradmessen machen. Den Anfang macht am 22. und 23. März die Berliner Fahrradschau in den Hallen des Postbahnhofs am Gleisdreieck. Die Messe versteht sich als Plattform für kleine innovative Hersteller. Im Fokus stehen das urbane Fahrrad, Fahrradmode und Lifestyle. Unter dem Titel "My beautiful bike" findet außerdem ein Schönheitswettbewerb für Räder statt. Am Wettbewerb teilnehmen kann jeder, der sein Fahrrad dabeihat und sich damit am Messestand von "BikeCityGuide" fotografieren lässt. Mehr Infos unter www.berlinerfahrradschau.de
Bei der VeloBerlin in den Hallen rund um den Funkturm der Messe Berlin zeigen vom 29. bis 30. März mehr als 250 Aussteller Technik, Zubehör und Fahrräder aller Art. Die Auswahl reicht von E-Bikes über Stadträder bis hin zu Spezialanfertigungen und Liegerädern. Im Testparcours und auf dem Pumptrack können die Besucher sämtliche Räder ausprobieren. Bei gutem Wetter öffnet zudem eine Outdoorteststrecke im Innenhof des Funkturms. Mehr Infos unter www.veloberlin.com (hak)
Wenn Susanne Mildner mit ihrem Kind zum Einkaufen fährt, nimmt sie nicht das Auto. Die Zehlendorferin schwingt sich lieber auf ihr knallrotes Lastenfahrrad. In die große Kiste vor dem Lenker passen jede Menge Einkaufstüten, ihre zweijährige Tochter – und wenn sie will, sogar noch zwei oder drei Freunde aus dem Kindergarten. Ein Parkplatz ist schnell gefunden, auch den Sprit kann Mildner sich sparen.
Wie die 33-Jährige haben viele Berliner die Vorteile von Transporträdern erkannt. Vor Supermärkten, Kindergärten und Schulen sieht man immer mehr der umweltfreundlichen Familienkutschen. Sie sind Teil eines Trends, der sich langsam, aber kontinuierlich in der Hauptstadt abzeichnet: Das Fahrrad macht dem Auto Konkurrenz.
Im Durchschnitt legen die Berliner pro Fahrt eine Entfernung von 3,7 Kilometern auf dem Fahrrad zurück. Nach Schätzungen der Senatsverwaltung für Verkehr hat der Radverkehr in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen: 15 Prozent aller täglichen Wege werden schon jetzt mit dem Rad zurückgelegt. Die Verkehrsverwaltung glaubt sogar, dass bis zu 20 Prozent der Fahrten bis 2025 ohne Probleme vom Auto aufs Rad verlagert werden könnten.
Peter Stage, Geschäftsführer im Fahrradladen Mehringhof, beobachtet schon seit einigen Jahren, dass immer mehr Menschen vom Auto aufs Fahrrad umsteigen. „Vor allem Kindertransporträder werden sehr stark nachgefragt“, sagt er. Rund 100 Stück verkaufe der Laden mittlerweile pro Jahr. Die Vorteile liegen für Stage auf der Hand: „Bei jedem Einkauf spart man Zeit und Geld. Und Familien haben immer einen riesengroßen Kinderwagen dabei.“
Auch in puncto Geschwindigkeit sei das Fahrrad nicht unterlegen. „In der Rushhour kommt man mit dem Auto gerade mal auf acht Stundenkilometer“, vermutet Stage. Mit dem Lastenrad schaffe man dagegen einen Schnitt von zwölf Stundenkilometern.
Neben den Familientransportern gibt es noch einen zweiten starken Konkurrenten für das Auto: das Elektrobike. Trotz hoher Preise steigen die Absatzzahlen jedes Jahr um bis zu 30 Prozent. „Rund 400.000 E-Räder wurden allein 2013 in Deutschland verkauft“, sagt Wasilis von Rauch vom ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD). Dabei sind die elektrischen Drahtesel nicht etwa ein Ersatz für das konventionelle Rad: In einer Studie des VCD gaben über 70 Prozent der Befragten an, dass sie sich mit dem E-Rad vor allem Autofahrten sparen.
Zu langsam, zu weit, zu anstrengend – die üblichen Ausreden gelten mit dem E-Bike plötzlich nicht mehr. Eine Strecke von zehn Kilometern kann man mit elektrischer Unterstützung leicht in einer halben Stunde schaffen. Der eingebaute Motor hilft am Berg und beim Losfahren an der Ampel. Die Geschwindigkeit kann kontinuierlich bei 25 Stundenkilometern gehalten werden. „Man kommt also endlich nicht mehr verschwitzt bei der Arbeit an“, sagt von Rauch.
Trotzdem hat das E-Bike alle Vorteile eines normalen Fahrrads. Man darf in Gegenrichtung durch Einbahnstraßen fahren, die schöne Strecke am Fluss oder durch den Park nehmen – und gleichzeitig noch etwas für Gesundheit und Umwelt tun.
Ein Problem der Elektro- und Lastenräder bleibt jedoch der Preis. Zwar hat eine Studie aus dem Jahr 2013 gezeigt, dass Radler bereit sind, immer mehr Geld für ihre Drahtesel auszugeben. Bei Preisen zwischen 2.000 und 4.000 Euro kann man den Autoersatz aber tatsächlich fast gegen einen Kleinwagen eintauschen.
Das ist in Großstädten wie Berlin besonders problematisch, weil sichere Plätze zum Abstellen wie Garagen fehlen. „Das Rad 20 Minuten vorm Supermarkt zu parken ist in aller Regel kein Problem“, sagt von Rauch. „Es regelmäßig über Nacht draußen stehen zu lassen aber schon.“ Dann kann der Kleinwagen auf zwei Rädern schnell mal den Besitzer wechseln.
Die Alternative ist, das schwere Gerät in die Wohnung im vierten Stock zu schleppen. Dann wiederum hat sich aber der Vorteil schnell erledigt, nicht verschwitzt vom Radfahren nach Hause oder zur Arbeit zu kommen – und die ganze Unterstützung durch den Elektromotor war umsonst.
Der Preis hat natürlich auch Auswirkungen auf die Zielgruppe des Fahrradtrends: Es sind vor allem die Besserverdienenden, die sich die teuren Fortbewegungsmittel leisten können. Die Anschaffung ist teuer – doch im Unterhalt schlägt das Rad seinen motorisierten Kollegen um Längen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen