: Verkapptes Militärregime klammert sich an die Macht
■ Auch einen Tag nach der Verhängung des Kriegsrechts über Thailands Hauptstadt sind schießwütige Regierungstruppen am Dienstag mit Gewalt gegen Oppositionelle vorgegangen. ...
Verkapptes Militärregime klammert sich an die Macht Auch einen Tag nach der Verhängung des Kriegsrechts über Thailands Hauptstadt sind schießwütige Regierungstruppen am Dienstag mit Gewalt gegen Oppositionelle vorgegangen. Möglicherweise sind schon mehrere hundert Menschen zu Tode gekommen.
Armee, Marine, Luftwaffe, Polizei und zivile Sicherheitskräfte haben den Aufstand unter Kontrolle gebracht und versuchen nun, mit milden Maßnahmen die Aufständischen auseinanderzutreiben, ohne das Blut der thailändischen Landsleute zu vergießen“, hatte das staatliche Fernsehen am Montag nach der Verhängung des Ausnahmezustands für Bangkok und einige Nachbarprovinzen verkündet.
Wie zynisch solche Fernsehmeldungen in Wirklichkeit sind, konnten die BewohnerInnen Bangkoks gestern erleben, wenn sie sich selbst ein Bild von den Geschehnissen machten. Ebenso wie das Fernsehen unterliegen Radio und Printmedien in Bangkok der Zensur — oder einer weitgehenden Form von Selbstzensur. Viele Zeitungen erschienen am Dienstag mit weißen Flecken, nur die englischsprachige 'Nation‘ berichtet nach wie vor ausführlich. So konnten die meisten Bürgerinnen und Bürger der Hauptstadt nur draußen in den Straßen erfahren, was sich vor allem im Regierungsviertel der Stadt nach der Festnahme des Oppositionsführers Chamlong Srimuang und sechs weiterer bekannter Oppositioneller abspielte.
Nach den blutigen Auseinandersetzungen am Montag ging das Militär auch gestern wieder mit aller Härte gegen die Demonstranten vor. „Sie zielen direkt auf die Köpfe“, berichteten Augenzeugen. Dies wird von Armeesprechern bestritten. Dutzende von Personen sind bereits zu Tode gekommen, Hunderte wurden als verletzt gemeldet. „Die Regierung verbietet die Veröffentlichung von Opferzahlen“, titelte gestern die 'Nation‘ und meldete, die Regierung habe alle Krankenhauser angewiesen, keine Informationen an die Presse weiterzugeben. Angesichts der unübersichtlichen Lage ist zu befürchten, daß die Zahl der Opfer viel höher ist, als von offizieller Seite angegeben wird; der Nachrichtenservice von BBC sprach gestern bereits von möglicherweise mehreren hundert Toten.
Am Montag abend hatten Demonstranten vor dem im Regierungsviertel gelegenen Hotel Royal versucht, mit Bussen, Autos und Motorrädern die Sperren zu durchbrechen, die das Militär errichtet hatte. Daraufhin eröffneten Soldaten mit automatischen Waffen das Feuer auf die Menge. Wie Vertreter der „Campaign for Popular Democracy“ berichteten, hat das Militär auch auf die Busse geschossen. Dabei seien viele Passagiere getroffen worden.
Am frühen Dienstag morgen stürmten die Soldaten das Hotel Royal, dessen Foyer zu einer Art Notlazarett umfunktioniert worden war. Zuvor waren Tausende Demonstranten in das Hotel geflüchtet und hatten sich dort versteckt. Die Soldaten durchkämmten die Zimmer. Mehr als 2.000 Personen wurden zum Teil unter Mißhandlungen gefesselt und abgeführt. Sogar Polizeigeneral Uthai Asvavilai, dessen Tochter unter den Festgenommenen war, rügte nach Informationen der Nachrichtenagentur 'ap‘ das brutale Vorgehen des Armee. Die in- und ausländischen Journalisten, die im Hotel Royal wohnen, wurden während der Razzia gezwungen, sich in der Hotelhalle zu versammeln. Auch in den umliegenden Straßen versammelten sich Gruppen von Demonstranten. Umzingelt von rund 200 Soldaten harrten Hunderte Menschen auf einer Brücke über den Fluß Chao Phraya aus. Vom Dach eines Omnibusses aus sprachen Oppositionspolitiker zu der Menge.
Nach der Festnahme der Oppositionsführer befürchten Regierungsgegner, daß die Gewalt auch in den kommenden Tagen weiter eskalieren wird. Allerdings verdichten sich die Vermutungen, die Auseinandersetzungen seien durch gezielte Provokationen verschärft worden, um den Regierungstruppen einen Vorwand für ihr brutales Eingreifen zu geben. Bereits Sonntag nacht waren etwa 5.000 Menschen, die von einigen hundert Anführern angeheizt worden waren, steinewerfend und brandschatzend durch die Straßen gezogen und hatten Dutzende von Regierungsfahrzeugen einschließlich eines Kranken- und Feuerwehrfahrzeugs zerstört. Eine Polizeistation wurde geplündert und anschließend in Brand gesetzt. Augenzeugen berichteten, zu den Anführern hätten junge Männer auf Motorrädern gehört, die offenkundig mit den Sicherheitskräften zusammenarbeiteten. Neben der Tätigkeit von „Agents Provocateurs“ ist aber auch die Tatsache gefährlich, daß die Demonstranten nach der Verhaftung der Oppositionsführer nun ohne offizielle Organisationsstruktur sind.
Unterdessen haben die Proteste bereits auf andere Provinzen übergegriffen. Am Montag forderten auch in der nördlichen Provinzstadt Khon Kaen 7.000 Demonstranten den Rücktritt von General Suchinda. Nach Berichten der Bangkoker 'Nation‘ forderten Vertreter der Universität von Khon Kaen und des örtlichen Krankenhauses die Lehrer auf, ihren Unterricht einzustellen, so lange die Regierung mit Gewalt gegen die Demokratiebewegung vorgehe. Auch im Süden Thailands demonstrierten etwa 2.000 Dozenten und Angestellte der Universität von Songkhla. Auf ihren Transparenten forderten sie: „Stoppt das Töten.“
General Suchinda Kraprayoon, der nach den Wahlen vom 22. März zum neuen Premier ernannt wurde, zeigt sich bislang uneinsichtig. Der General, der als Drahtzieher des Putsches vom Februar vergangenen Jahres gilt, hatte bis zu den Wahlen geschworen, er wolle keinesfalls Regierungschef werden. Er habe sein Wort brechen müssen, um dem Land zu helfen, erklärte er anschließend. Doch das undemokratische Vorgehen und die unverblümte Machtgier des Generals stößt nun — anders als in den siebziger Jahren, als es vorwiegend StudentInnen waren, die eine Demokratisierung des Landes forderten — auf die Ablehnung einer neuen Mittelschicht. Es sind nicht mehr nur Studentinnen und Studenten in Jeans und Sandalen, die sich zu Wortführern der Demokratiebewegung gemacht haben und an vorderster Front gegen das autoritäre Regime demonstrieren: „Allgegenwärtig sind auch die adrett gekleideten Damen und Herren mit dem mobilen Telefon“, sagt ein Beobachter in Bangkok. Jutta Lietsch
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