berliner szenen: Verimpft unter Drücken
Verimpfen – so ein bescheuertes Wort“, regt sich eine Frau auf. Sie wartet mit ihrer Freundin vor der Coffee-to-go-Theke und spricht so laut, dass sie auch mit Abstand gut zu hören ist. „Ver-impfen. Warum nicht einfach impfen?“ Es stellt sich heraus, dass sie sich als pensionierte Ärztin zum Impfeinsatz bereiterklärt hat. „Ich werde impfen, nicht verimpfen. Ich bin doch keine Verimpfärztin.“
Das gefällt mir. Verimpfen klingt wie verdampfen oder verdunsten und, was mich selbst überrascht, so was mache ich sonst nie, ich mische mich in das Gespräch ein. „Noch schlimmer finde ich Bedarfe, das ist mein Hasswort. Bedarfe, die nicht gedeckt sind.“ Die beiden gucken fragend. „Na, der Bedarf an medizinischem Personal ist groß. Da geht’s doch immer um mehrere Personen, sogar um viele. Nicht etwa: ein Bedarf, zwei Bedarfe.“
Jetzt macht auch der abseits stehende, eben noch in sich gekehrte Espressotrinker mit. „Unter Drücken“, ruft er von der Seite. Mit Maske ist er schlecht zu verstehen, hier fehlt die Mimik. „Wen unterdrücken?“ Der Mann erklärt sein Hasswort. „Na, wenn einer unter Druck ist, sind zwei auch unter Druck, auch Hunderte, alle Pflegekräfte sind unter Druck und nicht unter Drücken.“ Das lässt sich steigern: „Als Verimpfärztin sind Sie und Ihre Kollegen unter Drücken, weil Sie nicht allen Bedarfen nachkommen können.“ Macht richtig Spaß, diese Runde im Park. Mir fällt noch der Gesundheitsminister ein. „Sie sind unter Drücken, weil die Reiseverkehre nicht nachlassen, wie Jens Spahn beklagt.“ Alle lachen. Das ist das einzig Gute an dieser Pest, dass man mit unbekannten Menschen ins Gespräch kommt und rumalbern kann.
Noch besser wäre, wenn wir schon geimpft wären und etwas näher zusammenrücken könnten. Obste helfen ja leider nicht gegen Viren. Claudia Ingenhoven
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