Verhütungsmittel für Bedürftige: Familienplanung für alle

Der Landkreis Diepholz bezahlt künftig Verhütungsmittel für Bedürftige und folgt damit vielen anderen Kommunen. Bremen und Hamburg gehören nicht dazu.

In Diepholz künftig für Bedürftige umsonst: die Anti-Baby-Pille. Bild: dpa

16,43 Euro: Das ist die Summe, die Hartz-IV-EmpfängerInnen monatlich für Rezeptgebühren, Medikamente und Verhütungsmittel zur Verfügung steht, „Gesundheitspflege“ heißt dieser Regelsatz-Posten. Viel zu wenig, denn allein ein zuverlässiges Kontrazeptivum wie die Pille kostet schon zwischen acht und 20 Euro pro Monat, die Spirale einmalig mindestens 100 Euro. Der Kreistag Diepholz hat deswegen beschlossen, ab sofort EmpfängerInnen von Leistungen nach dem SGB II, SGB XII oder dem Asylbewerberleistungsgesetz die Kosten für Verhütungsmittel zu erstatten.

Diepholz folgt damit einer ganzen Reihe von Städten und Landkreisen, die dort einspringen, wo Bedürftige seit den Hartz-IV-Reformen 2004 alleingelassen werden; vorher gab es die Pille kostenfrei auf Rezept. Die Änderung hatte zur Folge, dass laut Pro Familia die Zahl der regelmäßig verhütenden, auf Sozialleistungen angewiesenen Frauen von 67 Prozent im Jahr 2004 auf nur noch 30 Prozent im Jahr 2010 gesunken ist, weil sie das Geld für Schwangerschaftsverhütung nicht mehr aufbringen konnten.

Auch in Bremen ist man sich des Problems bewusst, spätestens seit Juni 2011. Da wurde nämlich der Satz „Familienplanung darf nicht an der finanziellen Situation der Familien scheitern“ in den Koalitionsvertrag geschrieben und ein Arbeitskreis gebildet, doch dabei ist es bis heute geblieben, oder, wie Claudia Bernhard, Abgeordnete der Bremer Linksfraktion, sagt: „Dieser Arbeitskreis hat bisher ergebnisfrei gearbeitet“ – so das Resultat einer Anfrage der Linken an die Bürgerschaft im vergangenen September.

Der Hartz-IV-Regelsatz von 382 Euro pro Monat ist aufgeteilt in:

1,45 Euro für Bildung.

7,56 Euro für Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen.

16,43 Euro für Gesundheitspflege.

24,07 Euro für Verkehrsmittel.

27,96 Euro für andere Waren und Dienstleistungen.

28,96 Euro für Innenausstattung, Haushaltsgeräte und gegenstände.

31,94 Euro für Wohnen, Energie und Wohninstandhaltung.

32,09 Euro für Bekleidung und Schuhe.

33,73 Euro für Nachrichtenübermittlung.

42,17 Euro für Freizeit, Unterhaltung und Kultur.

135,61 Euro für Nahrung und alkoholfreie Getränke.

Bernd Schneider, Sprecher der Sozialsenatorin, macht die schlechte Finanz- und die komplizierte Rechtslage dafür verantwortlich. Denn, so sagt er, die Kostenübernahme von Verhütungsmitteln müsste nach geltendem Recht eigentlich wieder vom monatlichen Regelsatz abgezogen werden. Schwer vorstellbar, denn dann würden sich Städte wie Berlin, Münster, Oldenburg, Freiburg, Lübeck und Flensburg oder Landkreise und Regionen wie Hannover, Geesthacht, Wesermarsch, Oldenburg, Vechta, Minden-Lübbecke, Segeberg, Aurich und neuerdings eben auch Diepholz allesamt auf rechtlich dünnem Eis bewegen.

„Das tun wir sicher nicht“, wundert sich Edith Fahrenholz, Leiterin des Fachdienstes für Soziales im Landkreis Diepholz, „denn es handelt sich bei der Kostenübernahme um eine freiwillige Leistung. Wir haben Rücksprache mit dem Jobcenter gehalten, und die haben uns garantiert, dass sie nicht angerechnet wird – damit ist die Sache auch abgesichert.“

Vorerst zwei Jahre lang übernimmt Diepholz nun die Kosten für Verhütungsmittel. Wie hoch die werden, ist unklar: „Wir können uns da nur an ähnlich strukturierten Landkreisen orientieren, die diese Hilfe bereits leisten“, sagt Fahrenholz, „und die stellen jährlich 7.000 bis 20.000 Euro zur Verfügung.“ Angestoßen hat die Kostenübernahme Rudolf Dyk, Kreistagsabgeordneter der Diepholzer Linken.

Er hat für seinen Antrag, den er im Januar beim Kreis gestellt hat, auch eine Stellungnahme des Bremer Landesverbandes von Pro Familia angefordert. Dort heißt es: „Mit Besorgnis stellen wir fest, dass wir in unseren Beratungen zunehmend Frauen und Paaren begegnen, die aufgrund eines mangelnden finanziellen Spielraums auf Verhütung verzichten oder sich für preiswertere, dafür weniger sichere Kontrazeptiva entschieden haben und bei denen es so zu einer ungeplanten und nicht selten auch ungewollten Schwangerschaft kam.“

Was in Diepholz innerhalb weniger Monate möglich gemacht worden ist, dauert in Bremen bereits zwei Jahre – und ein Ergebnis ist nicht in Sicht, denn, so Schneider, momentan befasse sich der Arbeitskreis ohnehin nur mit besonderen Härtefällen wie substituierten Frauen, denen trotz ihrer Methadon-Abhängigkeit keine Kostenerstattung für Verhütungsmittel zusteht. Darüber hinaus hat Bremen sich an einer Bundesratsinitiative beteiligt, die eine Übernahme der Kosten durch den Bund vorschlägt.

Nimmt man Berlin als Vergleich, wo jährlich 2,6 Millionen Euro für Verhütungsmittel zur Verfügung gestellt werden, bedeutete das für Bremen ein Aufwand von ungefähr 500.000 Euro. „Traurig“, sagt dazu Sybille Böschen, stellvertretende Vorsitzende der Bremer SPD-Bürgerschaftsfraktion. „Denn selbst wenn Bremen dieses Geld nicht aufbringen kann, gäbe es ja auch noch andere Finanzierungsmöglichkeiten, mit denen man sich auseinandersetzen könnte, zum Beispiel Stiftungsmittel.“ So wird die Kostenübernahme unter anderem in Northeim, Münster, Göttingen oder Heidelberg finanziert. In Flensburg werden die 25.000 Euro, die die Stadt pro Jahr für Verhütungsmittel bereitstellt, durch Spenden aufgestockt.

Genauso wie in Bremen müssen sich auch in Hamburg Bedürftige aus eigener Kraft um ihre Familienplanung kümmern. Zuletzt hatte dort im Dezember die Linksfraktion in der Bürgerschaft die Kostenübernahme von Verhütungsmitteln beantragt – ohne Erfolg. Die Begründung ist freilich eine andere als in Bremen: Auf Anfrage der taz teilte ein Sprecher der Hamburger Sozialbehörde schriftlich mit, „dass die Kosten mit der Regelleistung ebenso pauschaliert abgedeckt sind wie Ernährung, Körperpflege und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Damit besteht größtmögliche Dispositionsfreiheit der Leistungsberechtigten hinsichtlich des Einsatzes der Regelleistung.“ Das heißt: Wer kein Geld für Verhütungsmittel übrig hat, der ist selbst Schuld.

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