Verhandlung über Freihandelsabkommen: Europas Konzerne drängen nach Indien

Die EU und Indien verhandeln über ein Freihandelsabkommen. Das könnte kleine Straßenhändler in Indien gefährden und Medikamente in Entwicklungsländern verteuern.

Supermärkte sind in Indien bisher eine Seltenheit: Es überwiegen kleine Läden und Straßenhändler. Bild: reuters

BRÜSSEL taz | Die Europäische Union will den indischen Markt erobern - koste es, was es wolle. Wenn das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien in der bisher vorliegenden Form durchkommt, wären große Teile der indischen Wirtschaft gefährdet. Vor allem die Inder, die in informellen Strukturen ohne Arbeitsvertrag arbeiten, würden darunter leiden.

"Das sind über 90 Prozent der indischen Bevölkerung. Wenn die europäischen Firmen ungehindert auf den indischen Markt drängen können, bleibt für diese kleinsten Strukturen und Einzelpersonen kein Platz mehr", befürchtet die grüne Europa-Abgeordnete Ska Keller. Sie setzt sich gemeinsam mit 24 anderen EU-Abgeordneten gegen die Unterzeichnung des Abkommens ein.

Ein besonders großes Risiko sieht Keller im Lebensmittelsektor. Bisher funktioniert der Verkauf in Indien vor allem über kleine Läden und Straßenhändler. Der Markt ist kaum reguliert. Die großen europäischen Supermarktketten wie Carrefour oder Metro haben bisher nicht in Indien investiert.

Die Zölle und die bürokratischen Hürden sind zu hoch. Beides würde sich mit dem Abkommen ändern. Dann dürften die Konzerne kommen. Keller: "Für sie ist der riesige indische Markt ein echter Leckerbissen."

Verhandlungen um Autos und Spirituosen

Am Dienstag hat EU-Handelskommissar Karel De Gucht die zuständigen Minister und Staatssekretäre aus den 27 EU-Mitgliedstaaten vom Stand der Verhandlungen unterrichtet. Er habe die Bedenken der Abgeordneten und Nichtregierungsorganisationen zwar im Kopf, teile sie aber nicht, erklärte De Gucht. Ihm geht die Marktöffnung, die die Inder anbieten, nicht weit genug.

"Die Verhandlungen sind sehr schwierig. Wir haben vor allem Probleme beim Import von Autos, Spirituosen und Dienstleistungen." Ein Beispiel: Zurzeit liegen die Einfuhrzölle für in der EU produzierte Autos bei 60 Prozent. Die Inder bieten eine Kürzung auf 50 Prozent an, aber das reicht den Europäern noch lange nicht.

Nichtregierungsorganisationen befürchten, dass Indien sich von der EU diktieren lässt, was in dem Abkommen stehen soll. Der Evangelische Entwicklungsdienst spricht von "Fesseln", die die EU der größten Demokratie der Welt anlegen will. "Die Verhandlungen laufen nicht auf Augenhöhe. Das indische Bruttoinlandsprodukt macht gerade mal 6 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung aus. Daran sieht man, wer die Verhandlungen bestimmt", sagt die Grünen-Abgeordnete Keller.

Generika könnten teurer werden

Sie befürchtet auch eine Verteuerung der Generika, die in Indien produziert werden. Das Land stellt zurzeit rund 80 Prozent der Ersatzmedikamente her, die vor allem in Entwicklungsländern gegen Malaria, HIV und andere Krankheiten eingesetzt werden. Die grüne Abgeordnete geht davon aus, dass sich Indien in dem Abkommen verpflichten wird, die sogenannte Datenexklusivität anzuerkennen.

Das bedeutet: Entwickelt ein europäisches Pharmaunternehmen ein neues Präparat gegen HIV und führt dafür eine Studie durch, darf der Generikahersteller sich für sein Medikament nicht auf die gleiche Studie beziehen, sondern muss die Untersuchungen selbst durchführen. "Das kostet unglaublich viel Zeit und Geld und würde die gesamte Generika-Produktion erheblich beeinträchtigen", befürchtet die Grünen-Abgeordnete Keller.

Das Europäische Parlament hat im Mai dieses Jahres die EU-Kommission aufgefordert, diese Auflage aus dem Abkommen zu streichen. Ob das in der Zwischenzeit passiert ist, ist aber völlig unklar. Weder die Europäische Kommission noch die Mitgliedstaaten geben den EU-Abgeordneten und Nichtregierungsorganisationen Einblick in die Verhandlungsdokumente. Keller geht aber davon aus, dass die Datenexklusivität nach wie vor in den Texten steht, wenn auch "verklausuliert".

Die europäische Wirtschaft verspricht sich enorme Gewinne von dem Abkommen: Indien ist für die EU der achtwichtigste Handelspartner. Rund ein Drittel der gesamten ausländischen Direktinvestitionen in Indien kommen aus der europäischen Staatengemeinschaft. Indien wiederum verspricht sich niedrige Zölle für Waren, die in die EU geliefert werden. Über das Freihandelsabkommen verhandeln EU und Indien seit 2007. Beim nächsten bilateralen Gipfel, wohl im Februar 2012, soll er unterzeichnet werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.