Vergewaltigungen in Südafrika: "Kein Gericht kann mich heilen"
Eine Studie zeigt, dass in Südafrika Vergewaltigungen oft zur Männlichkeit dazugehören: Einer von vier befragten Männern hat Frauen zum Sex gezwungen.
"Es frisst mich auf", sagt Buyisiwe Khumalo und reibt sich die Arme, die in einem grün-gelben Ringelpullover stecken. Die eisige Kälte des südafrikanischen Winters dringt in das ärmliche Haus im Township Thembisa am Ortsrand der Wirtschaftsmetropole Johannesburg. Es ist das Haus ihres Großvaters, der letzten Monat verstarb. Nun lebt sie hier alleine mit ihrer Schwester.
Buyisiwe Khumalo hat gerade einen Kampf gewonnen: Sieben Männer sind schuldig gesprochen worden und warten jetzt auf ihr Urteil. Ein kleiner Sieg, immerhin, aber "kein Gericht der Welt kann mich heilen. Selbst wenn sie alle lange Jahre hinter Gittern verbringen." Die Wut auf die Bande, die sie vergewaltigte, wird das nicht lindern, sagt die Dreißigjährige: "Sie haben mir mein Leben genommen."
Dreimal hat sie schon versucht, sich umzubringen. Sie wollte auch den Prozess gegen ihre Vergewaltiger fallen lassen: Er dauerte eine Ewigkeit und offenbarte alle unzumutbaren Schwächen der südafrikanischen Strafverfolgung.
Khumalos Geschichte beginnt an einem Nachmittag vor vier Jahren: Buyisiwe Khumalo war zu Hause, als es an der Tür klopfte, erzählt sie. Mit einem zögerlichen Blick durchs Fenster wollte sie sich Gewissheit über den unerwarteten Besuch verschaffen, da sei schon die Tür aufgetreten worden. Ein junger Mann zwang sie bei vorgehaltener Waffe, sich zu entkleiden, und vergewaltigte sie. Dann zerrte er sie halbnackt in den Hinterhof - dort warteten drei Jungs, jeder zwang sie zum Sex. Sie verschwanden, doch kehrten mit anderen Männern zurück, erwischten Khumalo noch an der Tür und hielten sie von der Flucht ab, nahmen sie mit. In einem anderen Teil der Siedlung wurde sie von vier weiteren Männern aus der Gruppe vergewaltigt. Eine Nachbarin kam im letzten Moment hinzu und schrie, als sie sah, was passierte. Sie wurde später eine wichtige Zeugin im Prozess gegen die Täter - Tshepo, der Anführer mit der Waffe, ist noch auf der Flucht.
Es waren zwei Schuljungen unter 18, die anderen knapp unter 25 Jahren, die sich anfeuerten wie wilde Tiere, als sie sich über Khumalo hermachten. Einer war wegen Anstiftung zur Vergewaltigung bereits verurteilt, zwei wegen Einbruch und Diebstahl vorbestraft. Jetzt drohen ihnen 15 Jahre Haft. Während des Prozesses zeigten sie keinerlei Anzeichen von Reue.
Vor Gericht musste Buyisiwe Khumalo ihren Peinigern immer wieder begegnen, Beleidigungen seitens der Täter - selbst im Gerichtssaal - ertragen. Die Mutter eines Täters drohte ihr: "Du wirst 2010 nicht mehr erleben."
Mit 55.000 angezeigten Fällen 2007 hat Südafrika eine der höchsten Vergewaltigungsraten der Welt, aber nur ein Bruchteil der Fälle gelangt überhaupt vor Gericht. Die Richter scheinen ein bizarres Rechtsverständnis zu haben. "Fast immer muss die Frau ihre Unschuld beweisen", beklagt Nhlanhla Mokwena, Koordinatorin bei POWA, der in Johannesburg ansässigen Frauenorganisation "People Opposing Woman Abuse" - "wir kämpfen darum, dass Prozesse nicht länger als drei bis sechs Monate dauern, in der Regel sind es jedoch Jahre."
Oft würden Täter aus Mangel an Beweisen wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Polizeiakten verschwänden, werden von Tätern "gekauft", oder unsensibles Verhalten der Polizisten führt dazu, dass Opfer nicht ernst genommen werden.
"Das Tabu wird langsam in den größeren Städten gebrochen, Frauengruppen bieten Unterstützung und Unterkünfte, wenn sich Frauen in Sicherheit bringen wollen", erklärt Mokwena. Auf dem Land jedoch gibt es fast keine Hoffnung auf Veränderung. Traditionelle Ansichten über die unbedingte Dominanz von Männern seien verbreitet. In den meisten Haushalten sind Frauen auch finanziell von Männern abhängig und schweigen.
Mit einer jetzt erstmals vorgelegten Studie hat Professorin Rachel Jewkes, Mitarbeiterin des Medizinischen Untersuchungsrates in Südafrika, endlich harte Fakten über das Profil der Täter auf den Tisch gelegt. Danach hat jeder vierte befragte Mann bereits eine Frau vergewaltigt (siehe Kasten). Die Zahlen seien nicht unerwartet. "Vergewaltigung ist ein Verbrechen, das von einer Machtvorstellung herrührt."
In der Studie sind Männer aller sozialen Klassen und Rassen in den Provinzen KwaZulu/Natal und Ostkap befragt worden. Vergewaltiger waren Männer, die eine gehobenere Ausbildung hatten und öfter über ein kleines Einkommen (500 Rand im Monat - 45 Euro) verfügten. Stärker repräsentiert in der Gruppe der Vergewaltiger waren gemischtrassige Männer.
"Zum Teil wurzeln die hohen Vergewaltigungszahlen Südafrikas in unserer unglaublich gestörten Vergangenheit", sagt Jewkes. "Südafrikanische Männer werden seit Jahrhunderten zu einer Maskulinität sozialisiert, die Ideen von Stärke und Härte zu Grunde legt und Gewalt befürwortet, um Kontrolle über Frauen und Männer durchzusetzen." Drei Prozent der Befragten haben auch Männer vergewaltigt.
Jewkes Studie legt nahe, dass bereits im Kindesalter die Grundzüge für ein gewalttätiges Verhalten gelegt werden. Das Sozialgefüge in südafrikanischen Familien ist häufig zerstört, viele Väter und auch Mütter abwesend, Armut, hohe Arbeitslosigkeit und Alkohol verstärken oft die Not, Faktoren, die zu Ärger und Machtlosigkeit führen und sich häufig in Gewalt entladen.
Dumisani Rebombo ist einer von tausenden von Männern, die als Teenager eine Frau vergewaltigt haben. "Meine Freunde johlten und klatschten, als hätten wir etwas richtig gemacht", sagt der 49-Jährige, der mit 15 Jahren zusammen mit anderen ein Mädchen in seinem Dorf zum Sex zwang. "Ich gab dem Druck der Freunde nach, mich als Mann zu beweisen." Marihuana und Bier halfen ihm über seine Ängste bei dem Gewaltakt hinweg.
Doch die Schuld ließ ihn nie los. Rebombo arbeitet in einer Hilfsorganisation, die sich um arbeitslose Mütter kümmert; ihre Berichte über sexuelle Gewalt erinnerten ihn täglich an seine Tat. Jahre später suchte er die Frau und bat um Vergebung.
Das südafrikanische Männerforum setzt sich für Frauenrechte ein: "Die Zahlen der Studie sind zu hoch, aber sie sind nicht allein kulturell bedingt." POWA fordert, Mütter müssten Männer so erziehen, dass sie Frauen respektieren, als gleichberechtigt ansehen und ihre Rechte als Mensch fördern, so Nhlanhla Mokwena.
Täglich gehen vier Frauen zu POWA in Johannesburg, um nach einer Vergewaltigung Hilfe zu erhalten. Aber nur eine von neun Frauen, die die Gewalt überlebt haben, geht zur Polizei. Nur fünf Prozent der Täter vor Gericht werden verurteilt.
Die "One in Nine Campaign" von POWA besteht seit 2006 - in dem Jahr stand der heutige südafrikanische Präsident Jacob Zuma wegen Vergewaltigung vor Gericht. Die Kampagne sollte Solidarität ausdrücken mit dem Kampf der Frau, die laut POWA von Zuma in seinem Haus vergewaltigt wurde. "Wir haben mit ihr gearbeitet und ihr Zustand ließ keine Zweifel aufkommen", sagt Nhlanhla. "Zuma ist kein Vorbild für Südafrikas Gesellschaft."
Nun will Zuma im Amt als Präsident besonderes Augenmerk auf Gewalt gegen Frauen und Kinder richten und Verbrechen reduzieren. Aber Lisa Vetten, Analystin und Mitarbeiterin beim Rechtsberatungszentrum "Tshwaranang", kritisiert die "Kultur der Straflosigkeit", die Unfähigkeit der Justiz, sexuelle Gewaltverbrechen aufzuklären. "Verhaftungen, Untersuchungen, Gerichtsfälle und Verurteilungen - all das muss peinlich genau und jährlich berichtet werden und nicht noch durch Schlampigkeit Anreize für Täter schaffen", sagt Vetten. "Polizisten gaben sogar zu, Statistiken zu manipulieren, wenn Vergewaltigungszahlen höher waren als im Vorjahr, um nicht als mangelhaft Arbeitende dazustehen."
Für Buyisiwe Khumalo gibt es trotz Urteil keine Gerechtigkeit. Sie hat eine demütigendes Verhör bei der Polizei nach ihrer Vergewaltigung erlebt und einen Arzt, der sie abweisend behandelte. Sie selbst ging mit ihrer Freundin in die Taverne nach den Tätern suchen, die dort nach ihrem Anruf bei der Polizei verhaftet wurden. Nach zwei Unterleibsoperationen kann sie immer noch keinen Urin halten. "Vergiss die Papiere und Gerichte", sagt sie. Khumalo setzt auf Selbsthilfe: "Vielleicht kann ich eines Tages Frauen in meiner Gemeinde helfen, sie beraten, sich gegen gewalttätige Männer zu schützen." Aber noch ringt sie um ihr eigenes Leben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin