Vergessene akademische Archive: Pfeilspitzen auf dem Dachboden
In vielen Forschungsinstituten schlummern noch nicht erschlossene Sammlungen. Viele davon sind keineswegs antiquierte Staubfänger.
Von seiner Expedition ins vormoderne Äthiopien brachte der Frankfurter Afrikaforscher Eduard Rüppell 1834 zwei Dutzend wertvolle Handschriften mit, die er später der Stadtbibliothek seiner Heimatstadt vermachte. Darunter ist eine im 13. Jahrhundert entstandene Weltchronik, die aus dem Arabischen ins Äthiopische übersetzt worden war.
Zum Schutz vor den Bombardements des Zweiten Weltkriegs wurde die Sammlung Rüppel nach Thüringen ausgelagert, ging aber beim Transport verloren und wurde erst im vergangenen Jahr auf einem fränkischen Dachboden in Teilen gefunden. Ob Pfeilspitzen aus der Vorzeit, Schmetterlinge aus den Tropen oder auch medizinische Abnormitäten aus dem Operationssaal: Wenn Forscher sammeln, kommt eine Menge zusammen.
Wie viele wissenschaftliche Sammlungen in den letzten 300 Jahren in Deutschland entstanden sind und zu welchen Themen, das können nicht einmal die Wissenschaftsexperten exakt beziffern. Etliche Sammlungen gingen verloren wie die des Äthiopienforschers Rüppel, andere schlummern in Ordinariennachlässen der Universitätsarchive.
In einer Datenbank, die vom Hermann-von-Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik (HZK) der Humboldt-Universität zu Berlin gepflegt wird, sind insgesamt 1.051 wissenschaftliche Sammlungen in Deutschland erfasst, von denen 794 erhalten sind. Der Schwerpunkt der universitären Sammlungen liegt bei den Fächern Biologie, Medizin, Geowissenschaften, Kunstwissenschaften und Archäologie, während im außeruniversitären Bereich die Bestände mit volkskundlichem, heimatkundlichem oder regionalgeschichtlichem Bezug überwiegen.
Anzahl unklar
„Die Anzahl der in den Universitäten aufbewahrten Sammlungsobjekte liegt noch völlig im Dunkeln“, stellt Cornelia Weber, Geschäftsführerin des Hermann-von-Helmholtz-Zentrums, fest. „Viele Sammlungen sind nicht einmal erschlossen und bilden damit zwangsläufig Posten, deren Existenz in Zeiten von Sparmaßnahmen besonders gefährdet ist.“
Dabei sind die Bestände der wissenschaftlichen Sammlungen keineswegs nur antiquierte Staubfänger. Als Beispiel verweist Cornelia Weber auf den Fall des Anatomieprofessors Philipp Friedrich Theodor Meckel, der im Jahre 1803 in Halle starb. In seinem Testament verfügte der Mediziner, dass sein Leichnam seziert und für die medizinische Lehrsammlung der Universität präpariert werden sollte.
Inzwischen wird die Hallenser Anatomiesammlung unter anderem dazu genutzt, um mittels DNA-Analyse frühere Krankheiten zu untersuchen – „sodass Meckels besondere Sammelleidenschaft heute wieder neue Bedeutung erhält“, bemerkt Weber. Auch alte Bohrkerne bergen erdgeschichtliche Fakten, die für die moderne Klimaforschung von großem Wert sind.
Daher hat auch der Wissenschaftsrat unlängst empfohlen, den wissenschaftlichen Sammlungen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Zwar habe sich die Lage bei den Beständen in den großen Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft – wie dem Naturkunde-Museum in Berlin und dem Senckenberg-Museum in Frankfurt – im letzten Jahrzehnt spürbar gebessert. „Die universitären Sammlungen sind von diesem positiven Trend jedoch noch nicht erfasst“, stellt der Wissenschaftsrat in seinem Gutachten fest und plädiert für eine bessere Ausstattung.
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