Vergangene Avantgarde: Spieler im Schatten

Der Holzmindener Künstler Rudolf Jahns konnte sich nicht durchsetzen im Kunstbetrieb der 1920er-Jahre. Derzeit würdigt ihn das Sprengel-Museum.

"Meine Bilder sind keine Handelsware": Rudolf Jahns im Jahr 1922. Bild: Sprengel Museum

HAMBURG taz | Für die Holzmindener war es ein Abend, über den lange zu reden war: Auf Einladung des örtlichen Malers Rudolf Jahns waren sie am Abend des 24. Februar 1927 in den Mannschaftssaal der ehemaligen Kaserne gekommen, um den Auftritt eines modernen Künstlers aus dem 80 Kilometer entfernten Hannover zu erleben. Angekündigt war ein Freund Jahns’: Kurt Schwitters. Ein sogenannter Merzabend sollte es werden, ein Abend also, an dem Schwitters seine dadaistische Kunst vorstellte.

Wie genau Schwitters’ Programm in Holzminden aussah, ist nicht so einfach zu rekonstruieren. Ziemlich sicher waren Lautgedichte dabei, die „Ursonate“ zum Beispiel, bei der Schwitters zusammenfantasierte Buchstabenkombinationen mal singt, mal schreit, mal heult. Und die Holzmindener? Reagierten „erregt, erbost, verdutzt“, sagt Barbara Roselieb-Jahns, die Tochter von Rudolf Jahns. Ihn selbst kann man nicht mehr fragen, er ist 1983 verstorben.

Die Geschichte mit Schwitters erzählt Jahns’ Tochter in einem Video, das Teil der Jahns-Ausstellung in Hannover ist. Das Sprengel-Museum zeigt Arbeiten aus Jahns’ grafischem Werk aus mehreren Jahrzehnten – manche hervorragend in ihrer atmosphärischen Dichte, manche eher für Kunsthistoriker interessant. Und manche nur für Leute, die sich interessieren für jenen Menschen, der sein Leben der Kunst verschrieb, mit dem Kunstbetrieb aber nie warm wurde.

Der Holzmindener Merzabend zum Beispiel: Für die Rampensau Kurt Schwitters war es einer von vielen. Für den damals 30-jährigen Rudolf Jahns aber war der Abend ein weiterer Beleg dafür, dass der Kunstbetrieb nichts für ihn war: Als „sehr introvertiert“ beschreibt ihn seine Tochter. Ein Typ, der am liebsten ganz auf Öffentlichkeit verzichtet hätte.

Schwitters musste Jahns damals überreden, seine Bilder auszustellen. Und Schwitters half ihm, die vielen vernichtenden Kritiken auszuhalten: Jahns gehörte wie Schwitters zur Avantgarde, zusammen hatten sie 1927 die Künstlervereinigung „die abstrakten hannover“ gegründet – mit dem Ziel, ihre Kunst durchzusetzen.

Am 12. März 1927 gründete sich im Haus von Kurt Schwitters in der Waldhausenstraße 5 in Hannover die Künstlervereinigung "die abstrakten hannover" als eine Untergruppierung der Berliner "Die Abstrakten".

Die Mitglieder waren - neben Schwitters - Carl Buchheister, Rudolf Jahns, Hans Nietzschke und Friedrich Vordemberge-Gildewart. Später kam der Berliner César Domela hinzu.

Das Ziel der Vereinigung war, das gemeinsame gestalterische Konzept der Abstraktion durchzusetzen. Durch die Kunst sollten dann die "neuen Menschen" geschaffen werden, "die die neue Gesellschaft bilden werden".

Das Vereinsleben bestand aus Vortrags- und Gesellschaftsabenden, auf denen internationale Künstler sprachen und zeitgenössische Musik vorgetragen wurde.

Im Dezember 1932 endete das Vereinsleben - wenige Wochen vor der nationalsozialistischen "Machtergreifung".

Es ist eine neue Kunst, die das Publikum fordert und provoziert. In Jahns’ Fall geht es um den Konstruktivismus: Jahns zeichnet Landschaften und menschliche Figuren und zerlegt dabei die Formen in ihre Einzelteile. Er schätzt sinnliche Werkstoffe wie Kreide und Hartfaser und sucht Analogien zur Musik. Deshalb gilt Jahns als „lyrischer“ oder „poetischer“ Vertreter unter den Konstruktivisten. „Linien sind Eigenwesen und sagen aus“ sagte er 1963. Oder: „Der Maler schafft wie die Natur, nicht nach der Natur.“

Für den stillen Jahns ist die Idee, im Gefolge des lauten Schwitters etwas durchzusetzen, nicht sehr naheliegend. Jahns hatte zwei Kinder und einen Brotberuf, er war Zollbeamter. Er hatte weder Lust noch war er darauf angewiesen, seine Bilder zu verkaufen. „Meine Bilder sind keine Handelsware“, habe er gesagt, erzählt seine Tochter.

Für etwas zu kämpfen, lag Jahns schon bei seiner Berufswahl nicht: 1919 kam er aus dem Krieg zurück nach Braunschweig, er war 23 Jahre alt und wollte Architekt oder Maler werden. Nach München und an der Kunstakademie studieren. Sein Vater aber war dagegen und wollte, dass der Sohn eine Beamtenlaufbahn beim Zoll beginnt. Jahns fügte sich, „wurde zum Zoll abkommandiert“, wie er als alter Mann im Rückblick sagte.

Künstlerisch verbrachte Jahns die 1920er-Jahre als Autodidakt, was der Herausbildung eines eigenen Stils förderlich war. Und ihn zeitlebens bei der Stange hielt: Jahns suchte auf spielerische Art und Weise nach seinem Stil. Die Kunst war ein Freiraum, der nur ihm gehören sollte. „Wahres Leben kann nur Spiel sein“, sagte er 1967 – „schönes Spiel, ein Leben ohne äußeren Zwang – ernstes Spiel, aus dem das Kunstwerk geboren wird.“

Hannover wurde durch Kurt Schwitters zu einem kleinen Zentrum der künstlerischen Avantgarde der Weimarer Republik – und Jahns war mit dabei. 1933 aber war Schluss: Die Nationalsozialisten verboten abstrakte Kunst und beschlagnahmen auch Jahns’ Ölgemälde „Abstrakte Komposition“, das der progressive Museumsdirektor Alexander Dorner für das Provinzialmuseum Hannover angekauft hatte, das heutige Niedersächsische Landesmuseum.

Rudolf Jahns malte weiter, allerdings keine abstrakten Bilder mehr, sondern unverfängliche Landschaften. Sein Atelier in der ehemaligen Kaserne in Holzminden musste er räumen, weil das Gebäude anderweitig gebraucht wurde. „Jahns ist in der Nazizeit verstummt“, sagt Ulrich Krempel, Direktor des Sprengel-Museums. „Er hat diese Zeit später aus seinem Werkverzeichnis rausgeschnitten.“

Jahns’ Distanz zum Kulturbetrieb und seine Unlust, sich zu vermarkten, hielten auch in der Nachkriegszeit an. Nachdem seine Frau und sein Sohn Ende der 1950er-Jahre starben, packte ihn ein Schaffensrausch. „Er hat gemalt, gemalt, gemalt“, sagt seine Tochter Barbara. Und erzählt die Geschichte von dem Arzt, der ein Ölbild kaufen will – und von Jahns’ nur zwei kleine Aquarelle angeboten bekommt.

Rund 1.200 Arbeiten fertigte Rudolf Jahns zu Lebzeiten an. Sein künstlerischer Nachlass wird heute verwaltet durch eine Stiftung mit Sitz im ostwestfälischen Detmold. Und im niedersächsischen Holzminden, wo Jahns sein Leben verbrachte, gibt es einen Freundeskreis.

Überregional oder gar international blieb die Anerkennung überschaubar. Jahns selbst scheint das nicht allzu schlimm gefunden zu haben. Aber Finanzbeamter sei er sehr ungern gewesen, sagt Tochter Barbara. „Er hat auch gesundheitlich schwer darunter gelitten. Aber was sollte er tun? Die Frau und die zwei Kinder mussten versorgt werden.“

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