Verfassung: Bremen aufgelöst?
■ Wahlrecht-Vorschlag für EU-Bürger sprengt Städtestaat / Senat dafür
Mit einem Federstrich hat der Bremer Senat gestern Bremen als Stadtstaat aufgelöst, so jedenfalls sehen es die zuständigen Juristen im Justizressort des Senators Henning Scherf. In Zukunft, so die Implikationen des Beschlusses, soll es neben dem Senat als Landesregierung eine Stadtregierung, üblicherweise Magistrat genannt, geben. Auf allen Verwaltungsebenen müsse getrennt werden, über einer großen Stadtverwaltung stehe naturgemäß eine ganz kleine und machtlose Landesregierung. Die Entmachtung der Landesebene könnte der Anfang vom Ende des Bundeslandes Bremen sein, so sehen es die Kritiker.
Anlaß des Senatsbeschlusses ist die Verfassungsänderung, die EU-Bürgern das kommunale Wahlrecht ermöglichen soll. Im Januar 1995 waren die Mitgliedstaaten verpflichtet worden, dafür zu sorgen, daß bis zum 1.1.1996 rechtlich klar geregelt sei, wie die EU-Bürger kommunal mitwählen dürfen. Ein Jahr wurde in Bremen ratlos vertan, nun soll offenbar im Schnellverfahren entschieden werden.
Für Bremerhaven ist die Sache so einfach wie sonst in der Republik: Zur Stadtverordnetenversammlung dürfen alle EU-Bürger mitwählen, zum Landtag (Bürgerschaft) nur Deutsche, denn die Verfassung läßt mehr auf dieser Ebene nicht zu. In Bremen allerdings ist die 80köpfige Stadtbürgerschaft identisch mit dem bremischen Anteil am Landtag (Bürgerschaft). Können also hier alle EU-Bürger das Kommunalparlament mitwählen, haben sie de facto auch den Landtag mitgewählt. Da EU-Wahlbürger sich zur Wahl stellen könnten, wäre es auch denkbar, daß jemand im Stadtparlament sitzt, der im Landtag nicht sitzen darf.
Rein rechtlich, stellte das Justizressort zu dieser Idee des Innensenators fest, bedeutet das: Die Stadtbürgerschaft muß ein anderes Gremium sein als die Gruppe der Bremer Landtagsabgeordneten, es muß eine eigene Stadtverfassung geben, „die Verwaltungsebenen der Stadt und des Landes sind zu trennen“, der Landtag muß verkleinert werden. „Am Ende dieses Prozesses steht ein Land, das aus zwei Kommunen besteht und eine kleine Landesregierung hat. Die Aufgaben der Landesbehörden werden tendenziell eher klein sein...“
Alles Quatsch, entgegnet die Innenbehörde in der internen Senatsvorlage. Denn, so wörtlich, durch das neue EU-Bürger-Wahlrecht „wird diesem unveränderten Bürgerschaftswahlsystem lediglich ein bisher unbekanntes Wahlelement hinzugefügt, das die Bürgerschaftswahl so, wie sie besteht, nutzt, um dem Unionsbürger ein Wahlrecht zu ermöglichen, das ausschließlich in Richtung Stadtbürgerschaft transportiert wird...“ In der Praxis sollen die EU-Ausländer einen eigenen Stimmzettel nur für die Stadtbürgerschaft erhalten. Wenn ein EU-Ausländer auf einer Kandidatenliste steht, soll der nur für die Stadtbürgerschaft wählbar sein. Wenn die deutschen Bremer diesen EU-Ausländer wählen, gilt diese stimme fürs Kommunalparlament, aber nicht für den Landtag. Die Stadtbürgerschaft wählt auch den Senat, wenn sie anderen Senat wählen will als der Landtag, dann geht das eben nicht.
Die Staatsräte, die am Montag über diesem Papier saßen, haben das nicht verstanden. Etwas irritiert brüteten sie über der Vorlage, und am Ende ging es bei der Abstimmung kreuz und quer durcheinander. Der CDU-Staatsrat für Inneres stimmte immerhin für die Vorlage aus seinem Hause, der Staatsrat des Justizsenators Scherf und andere stimmten dagegen, der Staatsrat Dannemann (SPD) aus dem CDU-Ressort Finanzen wollte nicht illoyal sein, enthielt sich .
Was Fachleute! Einstimmig ging die Beschlußvorlage im Senat gestern durch. K.W.
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