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Verfahren wegen Betrugs und UntreueUnternehmer-Darling verurteilt

Wegen schwerer Untreue und Bilanzfälschungen ist Niels Stolberg zu dreieinhalb Jahren verurteilt worden. Der Ex-Vorzeige-Reeder wird die Strafe wohl nicht antreten.

Tief gefallen: Niels Stolberg war einst der Liebling der Bremer Unternehmer-Szene Foto: dpa

Bremen taz | Niels Stolberg ist am Donnerstag vom Landgericht Bremen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Der Kaufmann mit Kapitänspatent, der die Reederei Beluga Mitte der 1990er-Jahre gegründet hatte, sei des Kreditbetrugs in 18 Fällen, der Bilanzfälschung und der Untreue in zwei besonders schweren Fällen schuldig, so die vorsitzende Richterin Monika Schaefer. Die Gesamtstrafe sei angesichts des Betrugsvolumens von über 100 Millionen Euro „sehr knapp zusammengezogen“.

Nur eine Strafe von weniger als 24 Monaten kann vollständig zur Bewährung ausgesetzt werden. Das ist bei den drei mit­angeklagten Geschäftsführern von Tochtergesellschaften der Beluga-Group GmbH, Andreas B., Emilio R. und Jens. S., auch geschehen. Sie wurden zu Freiheitsstrafen von acht bis 14 Monaten verurteilt – obgleich zur Bewährung ausgesetzt, noch immer happige Strafen.

Emilio R. war erst 2009 als bis dahin unbescholtener Manager in die Firma geholt worden. S. hatte zwar auf Weisung Stolbergs die Kreditanträge so unterfüttert und formuliert, dass die Banken bereitwillig zahlten, aber er trug auch wesentlich zur Aufklärung seiner Taten bei.

Weg durch die Daten

Rund 100 Stunden hatte S. mit den Ermittlern zugebracht, um sich selbst zu bezichtigen und ihnen einen Weg durch die Daten der Konzern-Computer zu zeigen – bis hin zu jener Unterebene, wo die Manipulationen versteckt waren. „Es ist nicht klar, ob die Volharding-Tangente ohne Ihre Hilfe überhaupt hätte aufgeklärt werden können“, sagte die Richterin zu S.

Das Kickback-Geschäft mit dem niederländische Schiffbauer war das Herzstück des Betrugs: 2006, als die Geschäfte noch prächtig liefen, träumte Stolberg von der Weltmarktführerschaft. Um sie zu erreichen, beschloss er, der erst 1997 sein erstes Schiff gekauft hatte, die mittlerweile auf 50 Frachter angeschwollene Flotte in kürzester Zeit um 20 weitere aufzustocken. Bloß: Die Banken verlangten eine Eigenkapitalquote von 30 Prozent bei Schiffsfinanzierungen. Das hätte Stolberg überfordert.

Deshalb suchte er sich einen Partner – einen Manager der Volharding Shipyards aus Westerbroek bei Groningen, der nun gesondert zu neun Monaten Haft verurteilt wurde – und ersann mit ihm ein System.

Das war mit Sicherheit der schwärzeste Tag in meinem Leben

Niels Stolberg über seinen Rausschmiss aus der von ihm gegründeten Beluga-Reederei

Formal gehörte er nicht zum Konzern

Beluga bestellte bei Volharding, die ließen die Schiffe aber in China bauen. Trotzdem stellten sie eine Rechnung, die den niederländischen Löhnen angepasst, also stets um mehrere Millionen überhöht war. Auf deren Grundlage wurden die Darlehen beantragt. Die in die Niederlande transferierten Überschüsse überwies Volharding umgehend an die im niedersächsischen Aurich registrierte Eneste Trading GmbH, die es dann wieder in die Beluga-Gruppe einspeiste. Denn formell gehörte Eneste zwar nicht zum Konzern, aber es gab eine personelle Überschneidung: Bei beiden war Niels Stolberg der geschäftsführende Gesellschafter.

Aufgrund dieses „perfekten Systems“, so die Überzeugung des Gerichts, hätten die Sachbearbeiter*innen der Banken nicht kapieren können, wie ihnen so unangemessen hohe Kredite aus dem Kreuz geleiert wurden.

Bilanzen leichter fälschen

Jahre hat es gedauert, bis der Prozess im Januar 2016 eröffnet wurde: So aufwendig war das, weil Stolbergs kleines Beluga-Imperium schließlich auf mehr als 200 in Bremen registrierten Einzel-Gesellschaften angeschwollen war. Mit sich vertiefender Krise kam es zwischen denen zu zunehmenden finanziellen Transaktionen. Denn wer Geld bewegt, kann finanzielle Lücken und Lecks besser überdecken und Bilanzen leichter fälschen.

Das gelang bei dem schwer durchschaubaren Firmengeflecht immerhin so gut, dass Stolberg im Sommer 2010 die Oaktree Capital Management L.P. als neuen Kapitalgeber an Bord locken konnte. Diese, ein als Heuschrecke verschrieener Investmentfonds, ließ sich aber nicht lange foppen: Ihre eigenen Fachleute entdeckten die Unregelmäßigkeiten in den Büchern.

Stolbergs Verteidiger hatten eine andere Version: Das sei Oaktree schon klar gewesen, bevor sie einen Minderheitenanteil von Beluga erwarben. „Dafür haben sich keine Anhaltspunkte ergeben“, schloss hingegen Richterin Schaefer. Oaktree habe vielmehr erst Verdacht geschöpft, als Ende des Jahres 2010 eine neue, für sie unerklärliche Liquiditätslücke von über 20 Millionen Euro aufgetreten war.

Sukzessive aus dem Unternehmen gedrängt

Ab Anfang 2011 wurde Stolberg sukzessive aus seinem Unternehmen gedrängt und am 1. März schließlich rausgeworfen. Die Familienfotos durfte er immerhin noch von seinem Schreibtisch im komplett verglasten Chefbüro mitnehmen, das wie eine Kommandobrücke ganz oben auf dem Dach des frisch bezogenen Firmensitzes auf dem Teerhof thront, der Flussinsel im Herzen Bremens. „Das war mit Sicherheit der schwärzeste Tag in meinem Leben“, so hatte sich Stolberg vergangene Woche an das Ereignis erinnert.

Drei Jahre, sechs Monate – das ist ein Jahr weniger als die Anklage gefordert hatte. Theoretisch muss Stolberg, sollte das Urteil rechtskräftig werden, dafür ins Gefängnis. Aus gesundheitlichen Gründen wird er die Strafe indes kaum antreten können.

Einst der Liebling der Unternehmer-Szene

Stolberg, einst Sonnyboy und Liebling der Bremer Unternehmer-Szene, der die Eckbälle von Werder-Bremen sponserte, hat nicht nur aufgehört, seine Haare zu blondieren. Er ist ein gebrochener Mann. Um die Verteidigung zu finanzieren, verkaufte er seine Yacht. Privatinsolvenz hat er schon 2011 angemeldet. Vor allem aber ist er todkrank, und dass er sich trotzdem dem Verfahren gestellt hat, wertete das Gericht als strafmildernd.

Seinen „aggressiven Magenkrebs“ führt Stolberg selbst darauf zurück, dass ihn „seit sieben Jahren Schuldgefühle“ peinigen. Er hat, sagt er, sein eigenes Lebenswerk zerstört. Weil er mehr wollte, mehr und mehr und immer noch mehr.

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