Vereinschef vor Gericht: Uhren, Suff und falsche Quittungen
Im Prozess gegen den Gründer des Vereins "Hatun & Can", der Spendengelder veruntreut haben soll, ist Udo D. von seinem ehemaliger Chauffeur schwer belastet worden.
Er habe Udo D. zu einem VW-Bus geraten, sagt dessen einstiger Chauffeur. "Etwas Zweckmäßiges", damit die Frauen ein paar Dinge mitnehmen könnten. Doch der Vereinschef von "Hatun & Can" habe aufgestampft und gesagt: "Ich will aber dieses Auto!" Dann habe er gut 60.000 Euro für den BMW bezahlt.
Seit Ende Oktober steht Udo D. wegen Betrug und Urkundenfälschung vor dem Landgericht. 690.000 Euro Spenden soll "Hatun & Can" zwischen Januar 2007 und März 2010 erhalten haben - der Verein, der jungen Frauen helfen sollte, die von ihren Familien verfolgt wurden. Die Gründung war eine Reaktion auf die Ermordung der 23-jährigen Hatun Sürücü im Februar 2005. Die größte Spende war das 500.000-Euro-Preisgeld, das Alice Schwarzer bei "Wer wird Millionär?" gewonnen hatte. Knapp 400.000 Euro stellte die Staatsanwaltschaft sicher, den Rest, so der Vorwurf, habe der 41-jährige, arbeitslose Steuerfachgehilfe für private Zwecke verbraucht.
Am Donnerstag wurde der Hauptbelastungszeuge gehört: Der 52-jährige Lothar W. war D.s Chauffeur, einer von wenigen Mitarbeitern, die ihn privat kannten. "Es war alles eine Lüge", so sein Resümee. Der Angeklagte, ein Brillenträger mit feistem Gesicht und schütterem Haar, grinst in sich hinein.
In der Kneipe "Golden Cave" sei er, W., dem Vereinschef begegnet, der ihn als "Sicherheitsbeauftragten" für die Frauen anheuerte. Ein Bedrohungsszenario habe es aber nie gegeben. In gut drei Jahren habe er lediglich vier "Einsätze" erlebt. Auch sei ein angeblich gerettetes Pärchen gar nicht hilfsbedürftig gewesen: "Die wollten sich nur kostengünstig einmieten." Weil aber ein RBB-Filmteam dabei war, "musste man darlegen, dass die auch verfolgt werden."
Die Betroffenen wurden erst in einer "verlausten und verkeimten Zufluchtswohnung" untergebracht, erst nach Schwarzers Spende im September 2009 habe D. einem Helfer 250 Euro für Malerarbeiten in die Hand gedrückt. "Er befürchtete, dass die die Wohnung sehen wollen."
Lothar W. sagt aus, er habe die Frauen zu Behörden, Interviews und Wohnungsbesichtigungen gefahren. Um deren Probleme habe sich Vereins-Sekretärin Julia T. gekümmert, ehrenamtlich natürlich. Die ist am Donnerstag ebenfalls ins Landgericht gekommen. In einem Flurgespräch bestätigt sie, in etwa zwei Jahren 14 bis 16 Anfragen bearbeitet zu haben. Die meisten Frauen habe D. zu anderen Organisationen geschickt. "Er hat alle verarscht, auch die Presse", so ihr Fazit.
Wohin aber flossen denn die knapp 300.000 Euro? Der Verteidiger behauptet, ein Großteil des Geldes sei an Helfer des Vereins gezahlt worden seien - ohne Rechnung, weil die sämtlich Arbeitslosen keine stellen wollten. Lothar W. dementiert: Er habe höchstens 500 bis 600 Euro für Benzin bekommen. Außerdem noch Geld für D.s "Privatfahrten wegen seiner Liebschaften." Da sei eine Polin gewesen, die sogar als hilfsbedürftige Frau ausgegeben worden sei. Ihr habe der Chauffeur mehrfach Geld gebracht. Einmal habe Udo D. gejammert, die Frau habe ihn "Tausende von Euro" gekostet.
Das Geld sei aber nicht nur in Frauen und Bordellbesuche investiert worden: Täglich sei der Vereinschef in Kneipen gegangen, wo er seiner Spielsucht frönte und öfters Runden geschmissen habe. "70, 80 Euro war Standard" für eine Rechnung, so der Zeuge. Er hält den Angeklagten für einen Alkoholiker.
Lothar W. berichtet noch mehr: "Quittungen hat er sich reichlich besorgt." Einmal habe D. bei einer Tankstelle nach Belegen gefragt: "Er gab 50 Euro, die haben ein, zwei Tage gesammelt." So habe der Vereinschef Rechnungen für etwa 800 Euro Kraftstoff bekommen.
Eine 27-jährige Zeugin, die ein halbes Jahr lang ehrenamtlich für den Verein tätig war, bestätigt dem Gericht diese Praxis. Auch sie lernte D. in einem Lokal kennen. Ob sie ihm Rechnungen geben könne, habe er sie einmal gefragt. Wozu er die brauche, habe er nicht sagen wollen, so die junge Frau. Sie habe den Verein verlassen, weil ihr Zweifel an dessen Seriosität gekommen seien. "Er gab gern viel Geld aus und ging gern essen", sagt sie. "Er zeigte mir auch seine teure Uhr."
D.s Verteidiger hält die Anklage für "abenteuerlich und absurd". Sein Mandant habe keine Bordellbesuche von Spenden bezahlt. Vielmehr sei er ein V-Mann des LKA gewesen und habe der Polizei Tipps für Bordell-Razzien gegeben. Lothar W. dagegen sei vorbestraft und überdies vom Stern gekauft. Darum stellte der Verteidiger gegen den Kronzeugen Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste