Vereidigung von Kanzlerin Merkel: Kein Aufbruch, nirgends
Ohne die SPD ist Angela Merkel nun sehr mächtig - und sehr einsam. Der Tag ihrer Vereidigung demonstriert, dass Regierung und Opposition ihre Rolle erst noch finden müssen.
Man denkt, er hat sich aus Versehen auf den falschen Platz gesetzt. Frank-Walter Steinmeier, vier Jahre lang treuer Stellvertreter der Bundeskanzlerin und nur ganz am Schluss ein bisschen Wahlkämpfer, sitzt heute nicht neben Angela Merkel wie bei allen wichtigen Parlamentssitzungen zuvor. Die Regierungsbank ist leer, der Bundespräsident hat das alte Kabinett schon entlassen und das neue noch nicht ernannt. Auch Merkel hat in der ersten Reihe ihrer Fraktion Platz genommen. Werden die beiden Politiker gleich aufstehen und wieder gemeinsam nach vorne schreiten?
Natürlich werden sie das nicht tun. Ganz rechts außen sitzt der Mann, der Steinmeiers Platz jetzt einnehmen wird. Der sich an diesem sehr nüchternen Tag als Einziger kaum noch halten kann vor Freude. Der grinsend auf seinem Sitz nach vorne rutscht. Der nur schwer an sich halten kann, bis Merkels Wahlergebnis bekanntgegeben wird und den Weg freimacht zur Ernennungsurkunde, auf die der künftige Bundesminister Dr. Guido Westerwelle ein Jahrzehnt gewartet hat.
Einen Tag wie diesen hat der Bundestag in den 60 Jahren seines Bestehens noch nicht erlebt. Eine Kanzlerin wird wiedergewählt, Routine also. Gleichzeitig tauscht sie den Koalitionspartner aus, ein Neubeginn. Ist das nun ein Regierungswechsel oder keiner?
Die Kanzlerin, das war absehbar, hat sich für Variante zwei entschieden. Keine Friede Springer, keine Sabine Christiansen auf der Zuschauertribüne diesmal, die in Keksform die Buchstaben C-D-U verknuspern und die erste weibliche Regierungschefin feiern. Kein Ehemann, wie schon beim letzten Mal. Nur die Eltern aus Templin, auch sie aber können nichts Besonderes finden an dieser Wiederwahl. "Es ist, wie es ist", sagen sie auf Journalistenfragen.
Für Steinmeier aber beginnt etwas Neues, er muss sitzen bleiben als Fraktionschef der Sozialdemokraten, neben ihm sein Parlamentarischer Geschäftsführer und der scheidende Parteivorsitzende Franz Müntefering. Drei Pulte, mehr gibt es nicht mehr in der ersten Reihe für die SPD. Halb so viele wie für die Union. Nur eines mehr als für die Grünen und die Linkspartei, die gemeinsam jetzt genauso viele Parlamentarier stellen wie die SPD. Während die Staatssekretärsposten über Union und FDP niederregnen, streiten sich die Sozialdemokraten um den Sprecherrang in Ausschüssen.
"Mir tut es leid", sagen selbst Kollegen von konservativen Medien angesichts der zusammengeschmolzenen SPD-Fraktion, dezimiert von elf Jahren Regierung, zermürbenden Reform- und Personaldebatten. Steinmeier, Müntefering, Peer Steinbrück: So viel Kompetenz, so viel Regierungserfahrung. Sie wurden verdrängt von der FDP, werden nicht mehr gebraucht - wie es aussieht, nicht mal mehr für den Neuanfang der eigenen Partei.
Opposition ist wichtig, hatte Parlamentspräsident Norbert Lammert am Vortag getröstet. Aber wie viel Gemeinsamkeit kann es geben zwischen diesen drei Parteien, zwischen Grünen, SPD und Linkspartei? In alter rot-grüner Verbundenheit treffen sich Steinmeier und Grünen-Fraktionschefin Renate Künast zu gemeinsamer Merkel-Kritik. Es gehe nicht, dass die Kanzlerin zunächst ins Ausland fliege und dann erst eine Regierungserklärung abgebe. Nun ja, der rot-grüne Kanzler Gerhard Schröder machte es vor sieben Jahren nicht anders. Auch er besuchte zunächst den Herbstgipfel der Europäischen Union.
Im Regierungslager allerdings ist die Verbundenheit ebenfalls noch nicht sehr weit vorangeschritten. Nur 323 Stimmen bekommt Angela Merkel von 332 Abgeordneten der Koalition, die zu den Fraktionssitzungen am Morgen vollzählig erschienen sind.
Mindestens neun Abgeordnete von Union und FDP haben ihr die Zustimmung verweigert. Waren es jene Christdemokraten, denen die Zugeständnisse an die FDP zu weit gingen bei Steuersenkungen und Kopfpauschale? "Das war fast immer so", wischt der neue Innenminister Thomas de Maizière das Thema im Foyer beiseite. Routine, auch hier.
Da sorgt dann schon die Frage für Aufregung, warum Merkel bei der Eidesleistung die Hand nicht erhob. Vermutlich hat sie es einfach nur vergessen. Dafür spricht das neue Kabinett geschlossen die religiöse Eidesformel, zum ersten Mal seit 1994 fügen wieder alle Minister den Zusatz an: "So wahr mir Gott helfe." Hier zumindest ist es wirklich eine Rückkehr in die Ära Helmut Kohls.
Damals aber gab es noch nicht die große Linksfraktion, die den Grünen die beanspruchte Meinungsführerschaft in der Opposition gleich abstreitet. "Die Grünen sind die fünfte Kraft im Parlament", lästert Linken-Geschäftsführer Dietmar Bartsch in die Fernsehkameras draußen im Foyer. Auch gab es damals nicht so viel Hin und Her zwischen den Grünen und der benachbarten CDU. Als der parlamentarische Geschäftsführer Peter Altmaier den Leuten in den vorderen Reihen der Unionsfraktion das Wahlergebnis für die Kanzlerin verkündet, bezieht er Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin gleich mit ein.
Nach dem Amtseid setzt sich Merkel auf die Regierungsbank, allein. Lauter leere blaue Stühle um sich herum. So will es das Protokoll, die Minister sind noch nicht ernannt. Und doch ist es ein Bild, das sich einprägt. Merkel ist jetzt sehr mächtig. Aber sie ist auch sehr einsam ohne die Leute von der SPD.
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