Ver.di plant Streiks im öffentlichen Dienst: Warnstreik ab Donnerstag
Ver.di fährt nach vielen Zumutungen einen harten Kurs: Ab Donnerstag soll im öffentlichen Dienst gestreikt werden, bis zu 15 % mehr Lohn werden gefordert.
BERLIN taz Sabine Rücke* ist draußen. Die 41-jährige Erzieherin arbeitet in einer Berliner Kita, und sie verdient gut 4 Prozent weniger als vor zwei Jahren. Damals entließ die Landesregierung die Kitas aus dem öffentlichen Dienst und überschrieb sie freien Trägern. "Noch schlimmer trifft es Neueinsteiger: Wer in meinem Alter bei uns anfängt, bekommt 1.800 Euro brutto - und wird bis zur Rente nicht mehr verdienen", sagt Rücke.
Rücke und ihre Kolleginnen stehen für Hunderttausende. Bund, Länder und Kommunen haben den öffentlichen Dienst in den vergangenen Jahren einer drastischen Schrumpfkur unterzogen. Auch deshalb fährt die Gewerkschaft Ver.di eine harte Linie: Schon ab Donnerstag wird sie zu Warnstreiks im öffentlichen Dienst aufrufen, kündigte ein Sprecher am Dienstag an - auch die dritte Verhandlungsrunde endete somit ergebnislos.
Wie in jedem Tarifstreit geht es für Ver.di auch um die eigene Bedeutung. Die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sank laut Gewerkschaft von 1991 bis 2005 um 38 Prozent - der neue Tarifvertrag wird noch für rund 2,1 Millionen Mitarbeiter gelten. "Besonders stark wurde bei klassischen Arbeiterberufen gekürzt", sagt Ver.di-Verwaltungsexpertin Renate Sternatz. 70 Prozent der einfachen Arbeiterjobs wurden seit der Wende eingespart. Wo früher städtische Angestellte Straßen fegten und Parks pflegten, sind heute Privatfirmen am Werk, deren Mitarbeiter deutlich weniger verdienen.
Ein gutes Beispiel für die Kürzungspolitik sind Krankenhäuser: "Eine flächendeckende Tendenz" zum Einkauf von Leistungen, beobachtet Herbert Weisbrod-Frey, Ver.di-Gesundheitsexperte. Kliniken gründen nicht tarifgebundene Servicegesellschaften, denen sie Laborarbeiten übertragen. Kleine Häuser legen ihre Küchen zusammen, manche Kreiskrankenhäuser bieten niedergelassenen Ärzten Räume an. Es geht um Synergien und niedrige Lohnkosten: "Private Gebäudereiniger privater Firmen verdienen ein Fünftel weniger als im öffentlichen Dienst", sagt Weisbrod-Frey.
Gerade an diesen unteren Gehaltsgruppen entzündet sich der Streit zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft. Ver.di will für alle mindestens 200 Euro mehr, was bei niedrigen Gehältern weit mehr als den grundsätzlich geforderten 8-Prozent-Aufschlag ausmacht. Nämlich bis zu 15 Prozent, wie Thomas Böhle aus dem Lager der kommunalen Arbeitgeber sagt. Mit solchen Forderungen, glaubt er, verstärke man die Neigung zur Privatisierung noch. Ver.di argumentiert umgekehrt. "Wenn sich Kommunen und Bund mit ihren Forderungen nach Arbeitszeitverlängerung auf über 40 Stunden durchsetzen würden, dann würde der Personalabbau weiter beschleunigt", sagt eine Sprecherin.
Grundsätzlich gilt: Je weiter eine Aufgabe weg ist vom Kerngeschäft der Kommune, der Verwaltung, desto größer wird die Neigung zur Privatisierung. In Schul- und Hochbauämtern der Republik, in den Stadtkassen und Bürgerbüros "bekommen noch 90 Prozent der Beschäftigten den öffentlichen Tarif", schätzt Sternatz. ULRICH SCHULTE
* Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!