Verdi-Vizechefin zur Arcandor-Insolvenz: "Keiner soll einfach arbeitslos werden"
Ohne die Finanzkrise hätte der Mutterkonzern von Quelle und Karstadt wohl überlebt, sagt Verdi-Vizechefin Margret Mönig-Raane. Staatshilfen wären deshalb durchaus angemessen gewesen.
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taz: Frau Mönig-Raane, hat Sie das schnelle Ende von Arcandor jetzt überrascht?
Nein. Arcandor war von Anfang an ein Kunstprodukt, für das diverse Vorstände mit großen Ideen die verschiedensten Geschäftsbereiche zusammengekauft haben. Geknirscht hat es bei der Zusammenarbeit dieser Bereiche aber immer wieder.
Also waren doch Managementfehler dafür verantwortlich, dass jetzt Tausende Arbeitsplätze verloren gehen?
Ein Teil der Entwicklung ist sicher durch hausgemachte Probleme entstanden, aber die wären normalerweise durchaus zu bewältigen gewesen, wenn nicht die Finanz- und Wirtschaftskrise so stark durchgeschlagen hätte. Nehmen Sie Quelle-Primondo, wo es jetzt am schlimmsten steht: Die Neustrukturierung ist durch die ständigen Wechsel der Konzepte viel zu langsam in die Gänge gekommen. Sie ist - oder war - zumindest mit der Weiterentwicklung des Online-Geschäfts auf einem guten Weg. Dann aber fehlte die Investitionsmasse, das Geld für die IT-Plattform.
Was hatte die Krise damit zu tun?
Wirklich kritisch wurde es bei Arcandor erst, als die Royal Bank of Scotland in Schieflage geriet, mit der der Konzern einen wichtigen Kreditvertrag verhandelt hatte. Dann wurde die Bank teilverstaatlicht - und nichts ging mehr. Oder nehmen Sie das Russlandgeschäft, das für Primondo wichtig ist. Hier kamen mit der Krise die Währungsturbulenzen.
Demnach hätte Arcandor Anspruch auf staatliche Hilfen aus dem Deutschlandfonds?
Warum es die nicht gegeben hat, wird noch zu untersuchen sein. Schließlich hat der Bund ja nicht nur für Opel Geld bereit gestellt, sondern auch für etliche Mittelständler. Ganz offensichtlich fehlen hier klare Kriterien, nach denen die Bürgschaften vergeben werden.
Für Quelle-Primondo ist es jetzt zu spät. Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg hat angekündigt, schon im Insolvenzverfahren 3.700 von 10.500 Stellen zu streichen. Was passiert mit den Entlassenen?
Wir haben uns gleich am Freitag zu einem runden Tisch getroffen. Niemand soll einfach in die Arbeitslosigkeit gehen. Wir wollen eine Transfergesellschaft, die den Mitarbeitern Brücken in den Arbeitsmarkt erhält, etwa durch Qualifizierungsangebote.
Wer finanziert das?
Die Bundesagentur für Arbeit wird einen Großteil übernehmen. Der Rest soll aber wohl aus dem Unternehmen kommen.
Das ist aber doch pleite. Görg hat gesagt, im ganzen Unternehmen gebe es nichts, was nicht jemand anderem gehört.
Daraus sollte aber jetzt niemand den Schluss ziehen, dass die Mitarbeiter für die Finanzierung mit aufkommen müssten. Das ist absurd. Schließlich haben die schon geblutet. Sie verzichten seit Monaten auf Urlaubsgeld, auf Weihnachtsgeld - und nun sind sie auch ihren Arbeitsplatz los. Kurz und gut: Über die Finanzierung verhandeln wir noch.
Und was ist mit Karstadt?
Da ist die Lage nicht so angespannt. Die Warenhäuser sind liquide, die Geschäfte laufen. Hier kommt es darauf an, dass die Manager schlüssige Konzepte für die jeweiligen Standorte entwickeln, damit sich auch Investoren finden.
Was halten Sie von Metro?
Die Übernahme durch Metro ist eine mögliche Lösung. Aber im Interesse aller Beteiligten sollte sich der Insolvenzverwalter nicht vorzeitig auf einen Interessenten festlegen oder gar nur mit dem verhandeln - zumal Metro schon deutlich Politik gemacht hat, indem Metro-Vorstandsvorsitzender Eckhard Cordes diverse Karstadt-Filialen schlecht geredet hat. INTERVIEW: BEATE WILLMS
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