: Verdeckter Rassismus
■ Rolf Schmidt-Holtz kommentiert die Übergriffe von Rostock: Die gutgemeinte Art der Auseinandersetzung
Bei der Verarbeitung der pogromartigen Angriffe auf Flüchtlinge in Rostock und anderen Städten der BRD hat es in der Presse nicht nur solche Artikel gegeben, die den TäterInnen nachträglich das Motiv lieferten, indem sie die „Überflutung“ Deutschlands durch Flüchtlinge und den „Asylmißbrauch“ zum Kern des eigentlichen Problems deklarierten. Daneben gab es durchaus auch Artikel und Kommentare, die sich ernsthaft bemühten, zu einer richtigen Sicht der Dinge zu kommen. Die Betrachtung solcher Kommentare zeigt aber, wie schwierig es ist, die rassistischen Übergriffe zu kommentieren, ohne gleichzeitig in weitere Fallen rassistischen bzw. ausgrenzenden Denkens zu tappen. Ein Beispiel dafür lieferte uns Rolf Schmidt-Holtz, Chefredakteur des Stern, in seinem Editorial mit dem Titel „Entfremdung von innen“ (Nr. 37 vom 3.9.1992). Schauen wir einmal genauer hin, was er zu den kriminellen Ausschreitungen von Rostock zu sagen weiß.
Schmidt-Holtz empört sich zunächst darüber, daß „potentielle Mörder“ Menschen in einem „Asylantenheim“ angegriffen haben. Damit geht er in der politischen Verurteilung dieser Gewalttaten schon sehr weit. Und er legt sogar noch eins drauf: Nicht nur die Angreifer sind für ihn Kriminelle. Auch die Politiker und die verantwortliche Polizeiführung haben „ein Verbrechen“ begangen, indem sie diese Mordversuche zuließen. Auch argumentiert Schmidt-Holtz gegen die verbreitete Auffassung, Rostock sei ein ostdeutsches Problem, und er brandmarkt namentlich diejenigen, die nach den Überfällen „eine populistische Debatte“ über die Änderung des Asylrechts führen: die Herren Seite, Kupfer und Seiters.
Interessant wird es an der Stelle, wo Rolf Schmidt-Holtz die Rolle der weiteren Beteiligten am Geschehen, die applaudierenden Bürgerinnen und Bürger, beurteilt. Sie werden von ihm keineswegs in die Reihe der „Kriminellen“ gestellt, sie leisteten lediglich „Beihilfe für Kriminelle“. Diese Zurückhaltung muß zunächst erstaunen. Doch sie erklärt sich aus den folgenden Ausführungen. Denn auch Rolf Schmidt-Holtz kommt ohne den Verweis auf den „Mißbrauch des Asylrechts“ und auf das „tatsächliche Asylantenproblem“ nicht aus. Er schreibt: „Über den Mißbrauch des Asylrechts und geeignete Abwehrmaßnahmen konnte und kann man zu jeder Zeit diskutieren. Aber nicht nach Rostock ohne eine Frist der Scham.“
Worin liegt der Sinn dieser ganz und gar unlogischen Formulierung? Schließlich gilt, wenn zu jeder Zeit diskutiert werden kann, dann doch auch nach den Vorfällen in Rostock! Und wer ist mit „man“ gemeint?
Der Hinweis auf das tatsächliche „Asylantenproblem“, das von ihm dann auch noch auf eine „Ausländerproblematik“ ausgeweitet wird, das Zugeständnis, über alles diskutieren zu können, dies alles macht dann Sinn, wenn es gleichsam als Eintrittskarte verstanden wird. Mit dieser stellt sich Schmidt- Holtz auf die Seite derjenigen, die in dieser Frage einen Mißbrauch beklagen, der die deutsche Bevölkerung vor große Probleme stellt. Dabei ist es offenbar sein Ziel, aus dieser Position die kriminellen Taten dann glaubhaft kritisieren zu können. Diese Lesart legen zumindest seine Schlußfolgerungen nahe, mit denen sein Editorial endet. „Es ist die Entfremdung der Regierung von den Problemen der Arbeitslosen und Schlechterverdienenden vor allem im Osten, es ist die Entfremdung der Menschen von den Politikern, an deren Ernsthaftigkeit, Kompetenz und Glaubwürdigkeit sie zweifeln. Verlangt ist in solchen Zeiten Führung, natürlich auch gegen eine Mehrheitsmeinung an den Stammtischen.“
Die Quintessenz dieser Aussagen ließe sich so zusammenfassen: PolitikerInnen und BürgerInnen in diesem Land verstehen sich nicht (mehr), wobei zu bezweifeln ist, daß Schmidt-Holtz in diese Aussage auch die „ausländischen“ Bürgerinnen und Bürger eingeschlossen hat. Als Lösung klagt er Führung ein, die dann auch irgendwie gegen unqualifizierte Positionen eintreten soll.
Doch gerade dies hat er selbst in seinem Kommentar verabsäumt: Stammtisch-Parolen tritt auch er nicht entgegen. Die Opfer sind für ihn nicht die angegriffenen und bedrohten Menschen in der BRD, sondern allenfalls die deutschen Arbeitslosen und Schlechterverdienenden. Die Täter sind die „kriminellen Neonazis“ im Verbund mit den verantwortlichen Politikern. Die laut oder leise zustimmende Mehrheit der Bevölkerung ist nicht nur aus dem Schneider, sondern wird mit seiner Betonung des angeblichen Asylmißbrauchs in ihrer Auffassung bestärkt. Schmidt-Holtz hat damit keinen Zentimeter des ausgrenzenden Asyl-Diskurses in der BRD preisgegeben. Margaret Jäger
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