Verdeckte Ermittler: Ermittlungstaktik, Lust und Liebe
In England hatte ein Undercover-Polizist regelmäßig Sex mit Frauen aus der überwachten Szene. In Deutschland wäre das unzulässig, beteuert das Innenministerium.
BERLIN taz | Verdeckte Ermittler von Bundeskriminalamt und Bundespolizei dürfen keine sexuellen Beziehungen eingehen, um Informationen zu erlangen. Das erklärte jetzt das Bundesinnenministerium auf eine parlamentarische Anfrage des Linken-Abgeordneten Andrej Hunko.
Anlass der Nachfrage ist der Fall des englischen Polizisten Mark Kennedy, der mit falschem Namen, langen Haaren und Ohrringen einige Jahre lang militante Umweltschützer und Globalisierungskritiker in ganz Europa ausspionierte. Auch in Deutschland war Kennedy aktiv: während des G-8-Gipfels in Heiligendamm 2007 sowie beim Nato-Gipfel in Baden Baden 2009.
Im Rahmen seiner Spitzeltätigkeit unterhielt der Polizist Kennedy auch zahlreiche Liebschaften. Wie die englische Zeitung Guardian aufdeckte, war es durchaus üblich, dass verdeckte Ermittler sexuelle Beziehungen in der von ihr überwachten Szene knüpften. Jetzt klagen zehn Frauen und ein Mann vor dem englischen High Court auf Schadensersatz. Sie hätten ein emotionales Trauma erlitten, nachdem Menschen, mit denen sie „tiefe persönliche“ Beziehungen eingingen, sich als Spitzel entpuppten.
Die Lustfrage
Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko wollte deshalb von der Bundesregierung wissen, ob sie es für zulässig hält, wenn Verdeckte Ermittler „Sexualität oder sonstige emotional tiefgehende Beziehungen mit ihren Zielpersonen oder deren Kontaktpersonen praktizieren“. Antwort: Die Bundesregierung ist der Auffassung, „dass das Eingehen derartiger Beziehungen aus ermittlungstaktischen Gründen in aller Regel unzulässig ist“. Und Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, von dem die Antwort stammt, fügt hinzu: „Dies gilt auch für den Einsatz von Mitarbeitern ausländischer Behörden in Deutschland mit deutscher Zustimmung.“
Die Auskunft klingt eindeutig, enthält aber eine wichtige Einschränkung: Unzulässig ist der Ermittler-Sex nur, wenn er „aus ermittlungstaktischen Gründen“ stattfindet – sprich: Wenn der Polizist eigentlich keine Lust hat. Wenn der Verdeckte Ermittler aber aus Lust und/oder Liebe gerne mit einer Ziel- oder Kontaktperson schlafen will, scheint dies nach Ansicht von Staatssekretär Fritsche rechtlich nicht ausgeschlossen.
Dagegen hatte der auf Geheimdienstrecht spezialisierte Anwalt Udo Kauß 2011 im taz-interview gefordert: „Genauso wie ein Verdeckter Ermittler keine Straftaten begehen darf, darf er mit den Zielpersonen und deren Umfeld auch keine Liebesbeziehungen führen.“ Wenn ein Einsatz „aus dem Ruder“ laufe, müsse er abgebrochen werden.
Der deutsche Fall Bromma
In Baden-Württemberg hatte die Polizei 2010 den jungen Beamten Simon Bromma in linke studentische Gruppen eingeschleust. Er sollte herausfinden, ob im Umfeld der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) Gewaltakte gegen Polizisten und Nazis geplant waren. Er erschlich sich mit seiner freundlichen und hilfsbereiten Art in den Kreisen um die studentische „Kritische Initiative“ zahlreiche Freundschaften, flog dann aber auf, als ihn eine Ferienbekanntschaft erkannte.
Sieben Betroffene aus der bespitzelten Szene erhoben im August 2011 Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe. Sie verlangen die Feststellung, dass der Undercover-Einsatz gegen die linke Heidelberger Szene generell rechtswidrig war. Sie seien keine „gewaltbereiten Gefährder“. Außerdem seien die Privatsphäre und die Menschenwürde verletzt, wenn den Aktivisten „ohne eigenes Wissen eine Freundschaft/Bekanntschaft zu einem polizeilichen Ermittler aufgezwungen“ werde.
Das Verfahren kommt allerdings nicht voran, weil der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) alle Spitzelberichte Brommas gesperrt hat. Die Arbeitsweise Verdeckter Ermittler müsse geheim bleiben, da die Undercover-Agenten sonst leicht enttarnt werden könnten, argumentierte Gall. Dagegen klagten die Betroffenen in einem Zwischenverfahren und erzielten nun einen Teilerfolg.
Teilweise rechtswidrig
Der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof erklärte die Sperrung der Akten (Az. 14 S 928/12) teilweise für rechtswidrig: Zumindest die internen Polizeiberichte, die nach der Enttarnung von Bromma angefertigt wurden, hätten nicht pauschal für geheim erklärt werden dürfen, urteilten die Richter. Es hätte genügt, einzelne Passagen zu schwärzen.
Kläger Michael Dandl von der AIHD kann sich über den Teilerfolg nicht freuen. „Solange Brommas Spitzelberichte geheim bleiben, hängt der Prozess völlig in der Luft.“ Auch die emotionale Ausnutzung der Heidelberger Aktivisten könne so nicht aufgeklärt werden. Dandl und seine Mitstreiter wollen jetzt beim Bundesverwaltungsgericht gegen die Aktensperrung vorgehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene