: Verbürgerlichung wider Willen
Vehikel der Wunscherfüllung: Der Kinofilm „Sehnsüchtig“ zeigt eine Intrige, zwei Stars und drei Gesichtsausdrücke
Matthew und Lisa, ein Fotograf und eine Tänzerin in den Zwanzigern, sind verliebt. Doch als Matthew (Josh Hartnett) Lisa (Diane Kruger) fragt, ob sie mit ihm zusammenziehen möchte, wirkt sie gehetzt. Am nächsten Tag ist sie verschwunden – und Matt ist ratlos.
Diese Vorgeschichte erfährt der Zuschauer des Films „Sehnsüchtig“ in einer Rückblende, denn die Handlung beginnt zwei Jahre später. Matt hat seine frühere Bohemien-Existenz mitsamt seinen Fotografie-Ambitionen inzwischen aufgegeben und ist Geschäftsmann geworden. Seine neue Freundin, seine Verlobte, ist die Schwester seines Chefs. Bei einem Essen mit den beiden vor seiner ersten großen Geschäftsreise verlässt Matthew abrupt die Runde, als das Wort „Hochzeit“ fällt. Auf der Toilette des Restaurants hört er zufällig das Gespräch einer jungen Frau in der benachbarten Telefonkabine mit. Die Stimme der Frau kommt ihm bekannt vor – es scheint die seiner verschollenen großen Liebe Lisa zu sein. Matthew ist davon überzeugt genug, um seine Reise nicht anzutreten und sich auf die Suche nach der jungen Frau aus der Telefonkabine zu begeben, die das Restaurant fluchtartig verlässt.
Cinephilen wird der Plot so bekannt vorkommen wie Matthew die Stimme der jungen Frau, denn „Sehnsüchtig“ ist ein Remake des französischen Films „L'appartement“ von Gilles Mimouni. Gewöhnlich beruhen Hollywoodadaptionen europäischer Filme auf kommerziellen Erwägungen. Die können in diesem Fall aber kaum ausschlagend gewesen sein, denn „L'appartement“ war zwar erfolgreich, aber kein überragender Kassenschlager und ist im Übrigen gut acht Jahre alt. Zudem hat Regisseur Paul McGuigan zwar das Setting der Handlung von Paris nach Chicago verlegt, aber die komplizierte Verschachtelung des Plots, vom Ende abgesehen, beibehalten. Wer unkonzentriert ist oder zum falschen Zeitpunkt Matt folgend die Toilette aufsucht, könnte bis zum Ende des Films verloren sein.
Das lässt „Sehnsüchtig“ interessant bleiben, macht seine Raison d'être aber umso rätselhafter. Man weiß nicht, was merkwürdiger ist: dass Regisseur Paul McGuigan jede einzelne Einstellung des Originals von Gilles Mimouni beinahe durchgehend nachgefilmt hat oder dass er ausgerechnet das Ende mit einer Entschlossenheit zu einem Happy End umbiegt, die etwas Gewaltsames hat.
Nur wozu? Zuschauer mit durch Hollywood geprägten Sehgewohnheiten werden bei „Sehnsüchtig“ abschalten, bevor sie durch das Hollywood Ending versöhnt werden könnten. Für die anderen fügt dieses Ende den Ungereimtheiten des Originals bloß weitere auf formaler Ebene hinzu.
Dennoch ist „Sehnsüchtig“ kein schlechter Film; einiges Wohlwollen beim Zuschauer vorausgesetzt, ist er sogar bezaubernd. Selbst McGuigans Einführung des Split-Screen-Effekts, des zweigeteilten Bildschirms, am Ende des Films, überzeugt, was nicht einfach ist. Für den, der bereit ist, viel suspension of disbelief aufzubringen, all die Ungereimtheiten der Handlung wider besseres Wissen für glaubhaft zu halten, entwickelt „Sehnsüchtig“ einen eigentümlichen Charme.
Es ist der Charme eines Märchens für Erwachsene, eines inszenierten Traums mit Wunscherfüllung. Welcher Verlassene hätte nicht davon geträumt, dass das Ende seiner Beziehung allein den Intrigen einer dritten Person geschuldet war? Welcher Ex-Bohemien nicht, dass seine Verbürgerlichung nur ein Missverständnis ist?
Nun könnte man kritisieren, dass Diane Kruger als Lisa höchstens zwei Gesichtsausdrücke zur Verfügung stehen und Josh Hartnett als Matthew nur einer. Aber, hey: Josh Hartnett hätte selbst mit einem halben Gesichtsausdruck noch Leinwandpräsenz, und Diane Kruger ist trotz verbleibender Hölzernheit in „Sehnsüchtig“ einfach bezaubernd. Am Ende des Films ist der Indie-Pop-Soundtrack bei Coldplay angelangt, und Chris Martin fleht „Oh let's go get back to the start“.
MARCO STAHLHUT
„Sehnsüchtig“. Regie: Paul McGuigan. Mit Josh Hartnett, Diane Kruger u. a., USA 2004, 115 Min.