Verbraucherschützer gegen Windräder: Herr Krawinkel unter Strom

Was treibt die Erfinder der Strompreisdebatte? Holger Krawinkel, einer ihrer profiliertesten Vertreter, will mehr Effizienz und Sparsamkeit.

Alle Räder stehen still... – Bei erneuerbaren Energien ist nach Ansicht von Verbraucherschützern eine Umsteuerung nötig. Bild: dpa

BERLIN taz | Holger Krawinkel weiß genau, wie viel Strom er in seinem Zweipersonenhaushalt verbraucht. „1.500 Kilowattstunden pro Jahr“, sagt er, fast ohne nachzudenken. Damit ist Krawinkel weit vorne. Er hat zu Hause ziemlich viel optimiert: effiziente Lampen, sparsame Spülmaschine. Der statistische deutsche Durchschnittsverbraucher zieht fast doppelt so viel Strom wie er aus dem Netz.

Kein Wunder: Krawinkel ist vom Fach. Sein Auftrag: Verbraucher vor zu hohen Stromkosten zu beschützen. Dafür kämpft er täglich an seinem Arbeitsplatz beim Bundesverband der Verbraucherzentralen in Berlin. Und er ist einer der Erfinder der Debatte, dass ökologisch hergestellte Elektrizität bei uns zu viel kostet. Sucht man einen Experten, der über die teure Solarenergie und den kostenträchtigen Windstrom vom Meer schimpft, landet man schnell bei ihm.

Diese Diskussion hat einen hohen Aufregungspegel erreicht. Vom „Armutsrisiko Strom“ ist die Rede. Hunderttausenden Hartz-IV-Empfängern kappen die herzlosen Energiekonzerne angeblich die Leitungen, weil die Leute den teuren Saft nicht mehr bezahlen können. Warum? Wegen der kostenträchtigen Solarenergie! Wahrscheinlich gibt es bald Berichte, dass Bürger in ihren Wohnungen erfrieren, weil draußen zu viele Sonnenzellen stehen.

Der Preis: Derzeit kostet 1 Kilowattstunde rund 26 Cent.

Die Steuern: Etwa 8 Cent davon beansprucht der Staat in Form von Steuern.

Die Energiewende: Rund 4 Cent pro Kilowattstunde betragen derzeit die Kosten der Energiewende. Darin enthalten sind drei Umlagen für Ökostrom, Kraftwärmekopplung und Netzkosten. Wegen des hohen Angebots drückt die Ökoenergie den Strompreis umgekehrt um 0,5 Cent pro Kwh.

Der Rest: Gut 14 Cent pro Kilowattstunde bleiben den privaten Unternehmen, die den Strom herstellen und verteilen.

Ökoanteil: 3,6 von rund 26 Cent pro Kilowattstunde verbrauchten Stroms bezahlen die Haushalte gegenwärtig an die Betreiber von Ökokraftwerken. Am Montag, den 15. Oktober, wird bekannt gegeben, dass diese Umlage vermutlich auf etwa 5 Cent steigt.

Der Grund: Immer mehr Wind- und Solaranlagen gehen ans Netz, die Menge der regenerativ erzeugten Energie nimmt zu. Das ist grundsätzlich im Sinne der Energiewende, die die Regierung beschlossen hat, führt aber gleichzeitig zu der Debatte, welcher Strompreis den Konsumenten zuzumuten ist. (koch)

Nächster Höhepunkt der Debatte: Montag, der 15. Oktober. Dann schlagen die Stromnetzbetreiber vermutlich vor, die Ökoumlage, die alle Haushalte für sauberen Strom zahlen müssen, auf gut 5 Cent zu erhöhen.

Die Beine übereinandergeschlagen, sitzt der 56-jährige Krawinkel zurückgelehnt in seinem kargen Büro in Berlin-Kreuzberg – zwei Computerbildschirme auf dem Tisch, ein paar Akten im Regal. Zu Hause leistet er sich einen Luxus – einen Stromluxus. Dort hat er einen Weinkühlschrank, der die edlen Tropfen auf 6, 10 und 16 Grad kühlt, passend zur Sorte. Krawinkel ist aufgewachsen im hessischen Städtchen Heppenheim an der Bergstraße, wo auch Rennfahrer Sebastian Vettel herkommt. Schon seiner Oldenburger Studentenwohngemeinschaft brachte Krawinkel von dort trockenen Weißwein mit.

Zwei Gläser Bier pro Monat

Treibt der Weinkühler Krawinkels Stromrechnung in ungeahnte Höhen? „Wenn ich 4,50 Euro pro Monat für erneuerbare Energien zahle, habe ich persönlich damit überhaupt kein Problem“, sagt er. Woher diese Milde? Es sind die Fakten. Zurzeit kostet die Energiewende jeden Haushalt nur 3,6 Cent pro verbrauchter Kilowattstunde. Krawinkel zahlt damit jährlich etwa 54 Euro für die Ökoenergie. Haushalte, die nicht so sparsam sind wie er, kommen auf vielleicht 80 Euro pro Jahr, knapp 7 Euro im Monat. Das ist der Gegenwert zweier großer Gläser Bier. Für vier Fünftel der Bundesbürger spielen solche Summen keine Rolle. Für die Armen schon. Denen aber muss die Regierung das staatlich garantierte Existenzminimum erhöhen, das auch den Strompreis abdeckt.

Wie ist es angesichts der geringen individuellen Kosten dann zu erklären, dass die Stromdebatte so hitzig verläuft? Warum zieht Holger Krawinkel seit fünf Jahren gegen die Solarenergie zu Felde? Er sagt: „Meine Kritik gilt den zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten der Solarförderung.“ Für diese habe die Regierung der gesamten Gesellschaft unerträgliche Summe aufgebrummt. Man könne die Energiewende viel billiger machen, wenn der Ökostrom nur aus Windkraftwerken an Land käme, meint der Verbraucherschützer.

Bildung statt ineffiziente Solaranlagen

Um diese Argumente zu untermauern, hat Krawinkel eindrucksvolle Rechnungen veröffentlicht. Demnach kostet beispielsweise allein die Energie aus den Solaranlagen, die im Jahr 2009 in Betrieb gingen, insgesamt 14 Milliarden Euro mehr als nötig. Wenn man solche Summen für die gesamte Zeit seit Erfindung der Ökostromförderung im Jahr 2000 ansetzt, kommt man auf Beträge von weit über 100 Milliarden Euro, die alle Stromverbraucher für die teuren und ineffizienten Photovoltaikmodule berappen.

Mit diesem Geld könnte man auch sinnvolle Dinge tun, meint Krawinkel: die Bahn ausbauen oder das Bildungssystem. Mit solchen Zahlen und Thesen hat Krawinkel die Debatte richtig in Schwung gebracht.

Verbraucherschützer Holger Krawinkel in der Bundespressekonferenz. Bild: dpa

Aber er hält das Copyright nicht allein. Auch Manuel Frondel war stark beteiligt. Seit 2004 beobachtete der Wissenschaftler vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen die hohe Garantievergütung, die die Betreiber der Sonnenkraftwerke von den Verbrauchern erhielten. Vor fünf Jahren wagte sich Frondel erstmals mit einer Berechnung in die Öffentlichkeit. Sein aktuelles Urteil: „Die realen Nettokosten für alle zwischen 2000 und 2011 installierten Photovoltaikanlagen belaufen sich auf knapp 100 Milliarden Euro.“ Frondel sagt: „Finanziell ist der Solarboom ein Desaster. Dass Geld verschwendet wird, geht mir gegen den Strich.“

Was ist von solchen Zahlen zu halten? Nicht viel, argumentiert unter anderem der Solarenergie-Förderverein. Krawinkel könne nur deshalb so hohe Mehrkosten berechnen, weil er einen zu niedrigen Börsenstrompreis als Vergleichsmaßstab heranziehe. Bereinige man diesen Fehler, löse sich schon die Hälfte der angeblichen Geldverschwendung in Wohlgefallen auf. Allerdings räumen auch die Solarfreunde ein: Ja, unter dem Strich ist Sonnenstrom teurer als Atom- und Kohlestrom, aber auch als Windstrom aus Kraftwerken an Land.

Manchmal weht kein Wind

Dass wir uns die Solaranlagen trotzdem etwas kosten lassen sollten, begründet Eicke Weber, der Chef des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme in Freiburg, so: Wenn man die annähernd komplette Versorgung Deutschlands mit erneuerbaren Energien erreichen wolle, dürfe man sich nicht allein auf ihre derzeit billigste Variante, die großen Windmühlen an Land, verlassen. Schließlich wehe manchmal kein Wind. Dann sei man auf andere Quellen angewiesen, so Weber. Zum Beispiel die Sonne.

Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Mit ihren Argumenten haben die Solargegner erreicht, dass die Bundesregierung die Förderung bereits massiv reduziert hat. Das mag ökonomisch gerechtfertigt sein. Wegen der teilweise zu hohen Förderung hat die Solarwirtschaft in den vergangenen Jahren tatsächlich schöne Extragewinne eingefahren. Doch die Kostendebatte kommt auch den Forderungen mächtiger Lobbyverbände entgegen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie und des Zentralverbands des Handwerks plädieren bei jeder Gelegenheit für „kosteneffiziente Lösungen“ und „bezahlbare Strompreise“. FDP-Chef Philipp Rösler verlangt, das gegenwärtige Fördersystem für den Ökostrom abzuschaffen und durch ein anderes zu ersetzen – eine Position, die auch RWI-Wissenschaftler Manuel Frondel unterstützt.

Personelle Verquickung

Vor allem aber freuen sich die traditionellen Energieunternehmen. Jede Kilowattstunde, die aus Wind- und Solarkraft fließt, vermindert den Umsatz, den etwa Eon und RWE mit Atom- und Kohlestrom erzielen. Ein Manager, der diesen Zusammenhang genau kennt, leitete die Gesellschaft der Freunde und Förderer des RWI: Heute noch leitet Rolf Pohlig als Finanzvorstand die Geschicke des RWE-Konzerns.

Spielt diese personelle Verquickung für die wissenschaftliche Ausrichtung des RWI eine Rolle? Manuel Frondel sagt nein: „Seit ich Leiter des Kompetenzbereiches Umwelt und Ressourcen beim RWI bin, haben wir kein Projekt mehr für RWE gemacht.“ Sein Interesse sei es, unnötige Subventionen zu verhindern, so Frondel. Deshalb habe er ebenso die staatliche Förderung des Steinkohlebergbaus kritisiert, was der traditionellen Energieindustrie überhaupt nicht in den Kram gepasst habe.

Und wie steht es um die Motivation des Verbraucherschützers? Holger Krawinkel ist Sozialdemokrat. Grundsätzlich lehnt er es nicht ab, dass der Staat in die Wirtschaft eingreift, im Gegenteil. Aber er sagt: „Bei der Förderung der erneuerbaren Energien hat der Staat teilweise versagt. Wenn er das Geld der Bürger einsetzt, soll er es effizient und sparsam tun.“ Und er warnt: „Lassen Sie uns nicht noch mehr Geld verschleudern, vor allem für einen zu schnellen Ausbau der Offshore-Windkraft!“ Bei den großen Windparks auf der Nord- und Ostsee sieht Krawinkel die nächste Kostenwelle rollen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.