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Archiv-Artikel

„Verbraucher sind beim Essen konservativ“

Der Mensch ist ein Allesfresser, sagt Ernährungspädagogin Barbara Methfessel. Viele glauben, sie bringt nichts um. Die Lebensmittelindustrie kann deshalb weiter darauf setzen, minderwertige Schinken und Schnitzel zu verkaufen. Hauptsache, das Fleisch ist hübsch verpackt

taz: Frau Methfessel, verschimmeltes Fleisch wird mit neuen Etiketten versehen. Verbraucher schreien auf, kaufen aber weiterhin Hack und Steak. Warum vergeht uns nicht der Appetit?

Barbara Methfessel: Der Mensch ist ein Allesfresser und er verdrängt. Zwar denken manche darüber nach, ihr Fleisch jetzt beim Metzger statt im Supermarkt zu kaufen. Andere aber glauben, sie bringt nichts um. Dabei können wir uns nicht darauf verlassen, dass wir so robust sind.

Wann ekeln sich Verbraucher genau vor dem Essen?

Die meisten Bürger hierzulande ekeln sich vor Mehlwürmern. Was der Mensch nicht kennt, isst er nicht. Deshalb haben so viele auf das Steak verzichtet, als die Rinderseuche auftauchte. Der BSE-Erreger war neu – und daher hat er Angst gemacht.

Dass verdorbenes Fleisch verwurstet wird, ist auch neu …

… aber wir haben uns auch vorher keine Gedanken darüber gemacht, dass in dem rosigen Schinkenwürfel auf der Fertigpizza Pressfleisch sein könnte. Es sieht aus wie Schinken, es ist für uns Schinken.

Kann die Lebensmittelindustrie also darauf setzen, minderwertige Ware gut zu verkaufen, Hauptsache sie sieht gut aus?

Ja. Sobald uns das Essen bekannt ist, fühlen wir uns sicher. Wir sind fürchterlich konservativ – und lieben das Gewohnte.

Warum ist ekliges Fleisch skandalös, giftige Weintrauben sind es nicht?

Weil unser Umgang mit Fleisch etwas Archaisches hat. Wir glauben immer noch, dass Fleisch mehr Kraft gibt als Hülsenfrüchte – was gar nicht stimmt. Und Fleisch war immer Ausdruck von Wohlstand. So ist es wichtiger, billiges Fleisch zu haben, als gutes Gemüse.

BSE, Schweinepest und Vogelgrippe – wieso halten sich Lebensmittelkrisen nicht im Bewusstsein?

Damit man sich nicht zu Tode ängstigt. Wie sollten wir denn sonst noch einkaufen gehen.

Aber wir könnten Essgewohnheiten ändern. Warum fällt das so schwer?

Essen wird durch Erfahrung gesteuert. Omas Sauerbraten, Mamas Pfannkuchen – wir speichern den Geschmack unserer Lieblingsspeisen zum Beispiel zusammen mit dem Gefühl der Geborgenheit aus unsere Kindheit. Und wir sind in Alltagsroutinen gefangen, wir hängen an den Gerichten, die wir schnell machen können.

Erwachsene können nicht mehr beeinflusst werden?

Doch, aber wir erweitern unseren Speiseplan nur ganz langsam. Unsere Großväter hätten Spaghetti Vongole noch nicht als vollwertiges Gericht anerkannt. Plötzlich schlürfen Leute Austern, weil es schick ist. Essen hat auch viel mit Status zu tun.

Auf den Speisekarte angesagter Lokale findet sich plötzlich wieder Hausmannskost wie Sauerbraten. Gibt es eine Renaissance der Fleischesser?

Ohne Fleisch ging es noch nie. Aber es war lange Zeit anders verpackt – etwa als Lammkaree in Rosmarinjus. Dieser Geschmack reicht uns nicht. Wir sehnen uns auch nach dem vertrauten Braten.

Die meisten interessiert wenig, woher das Fleisch kommt. Zugleich spenden viele Geld an Tierschutzvereine. Woher kommt der Widerspruch?

Aus mehreren Traditionen. Für die deutsche Kriegsgeneration war es wichtig, sparsam zu sein. Das war lange Zeit kein Problem, weil es wenig Unterschiede in der Qualität von Lebensmitteln gab. Die Verbraucherschützer haben selbst auch das Motto gefördert: Wer klug ist, zahlt wenig. Die Kunden guckten vor allem auf den Preis. Das Wissen – wie werden Rinder gehalten und was ist Qualität – ging ihnen verloren. Für sie ist ein Schnitzel ein Schnitzel.

Müssen Ökos und Tierschützer schockieren und sich mit stinkendem Fleisch in Fußgängerzonen stellen?

Das hilft wenig. Weil die Passanten überfordert sind, lassen sie lieber alles beim Alten. INTERVIEW: HANNA GERSMANN