■ Verbote rechtsextremer Gruppen keine Lösung: Billige Schaumschlägerei
Sicherheitsgesetze, ein schärferes Strafrecht gegen Rechts, Verbotsanträge – der Schulterschuß „wehrhafter Demokraten“ von rechtsaußen bis links gewinnt an Konturen. Was angesichts erschlagener Menschen vernünftig erscheint, hat allerdings einen Schönheitsfehler, es zielt ins Leere. Die Bilanz '92 wäre kaum weniger dramatisch ausgefallen, hätte man neonazistische Organisationen wie die „Nationalistische Front“, „Deutsche Alternative“ oder „Nationale Liste“ bereits 1990 verboten. Jona Ipinge wäre trotzdem von einem Mob aus dem vierten Stockwerk eines Wohnheimes in Wittenberge geworfen, Nguyen Van Tu dennoch in Marzahn erstochen worden. Der deutsche Alltag ist widerwärtiger, als es die vielbeachteten Neonazis nahelegen. Nicht die fehlenden Gesetze sind das Problem, sondern die mangelnde Bereitschaft, bestehendes Recht konsequent auf die rechtsradikalen Gewalttäter anzuwenden. Zahlreiche Gewaltakte fanden unter den Augen deutscher Polizisten statt.
Ein Verbot neonazistischer Gruppen nützt in diesen Tagen in erster Linie den politischen Eliten, die, mit einer beunruhigten internationalen Öffentlichkeit konfrontiert, unter enormem Handlungsdruck stehen. Seiters, Heckelmann & Co. brauchen schnell vorzuweisende „Erfolge“. Und die sind am schnellsten und medienwirksamsten zu erzielen, wenn man ein paar neonazistische Nester samt Hakenkreuzfahnen, Kalaschnikows, Dolchen und Hitlervideos aushebt. Die Behörden brauchen sich um den so erzielten Effekt keine Sorgen zu machen, haben die Medien in den zurückliegenden Monaten doch keine Gelegenheit ausgelassen, jeden noch so unbedeutenden Neonaziaufmarsch zur Massenbewegung aufzublasen.
Ein Verbot rechtsradikaler Parteien ist nicht viel mehr als billige Schaumschlägerei und wird wenig an der lebensbedrohlichen Situation für potentielle Opfergruppen im neuen Deutschland ändern. Auch mit einer völligen „Trockenlegung des braunen Sumpfes“ würde sich die immer offener artikulierte und praktizierte Totschlagsmentalität frustrierter Kleinbürger nicht in Luft auflösen. Das politische System ist nicht durch einige Sekten am äußersten rechten Rand gefährdet, sondern durch den Kern der Gesellschaft, der unfähig ist, mit den augenblicklichen ökonomischen, sozialen und politischen Unsicherheiten demokratisch-selbstbewußt umzugehen.
Die Begeisterung für die Verbotsforderungen auch von links hat aber noch eine andere, ärgerliche Ebene. In den antirassistischen und antifaschistischen Kindern, die plötzlich die „wehrhafte Demokratie“ entdecken, lebt der obrigkeitsstaatliche Geist der autoritären Eltern weiter, die in den Siebzigern angesichts der scheinbar die Grundfesten des bürgerlichen Staates bedrohenden linksradikalen und autonomen Gewalt lauthals Sondergesetze, Einschränkung bürgerlicher Freiheiten und die Effektivierung der Methoden der (Raster-)Fahndung forderten.
Mehr noch, das deutsche Urvertrauen, der Staat und die Politiker würden es schon stellvertretend für die Citoyens richten, erfährt eine Renaissance und gleichzeitig seine Erweiterung auf politische Kreise, die diesem Staat bislang (aus guten Gründen) mißtrauisch gegenüberstanden. Nach den bitteren Erfahrungen der Berufsverbote und der „Sympathisantenjagd“ sollte jeder, der ein Verbot rechtsextremer Organisationen und Parteien fordert, dezidiert hinzufügen, welche Organisation er konkret meint und warum er diese Gruppe aus dem Verkehr ziehen will.
Den Tätern rassistischer Gewalt muß das blutige Handwerk gelegt werden. Aber nicht mit Sondergesetzen. Denn bei der augenblicklichen Gewaltwelle handelt es sich eben nicht um das Ergebnis konspirativ arbeitender Kaderorganisationen, sondern sie trägt alle Kennzeichen einer sozialen Bewegung, deren „Programm“ sich knapp mit der Sehnsucht nach sozialer und emotionaler Geborgenheit und Überschaubarkeit beschreiben läßt. Und die läßt sich nicht so einfach mit ein paar Verbotsforderungen stoppen – für Friedensbewegte und Anti-AKW- Kämpen eine Binsenweisheit. Soziale Bewegungen mögen zwar Idole besitzen, aber keine klar auszumachenden Führerstrukturen, Strategien und Einsatzpläne, die wie ein „Knoten zu zerschlagen sind“. Solange soziale Bewegungen ihre Kraft aus den Themen, die im Kern der Gesellschaft verankert sind, ziehen, sind sie nur schwerlich in ihrer Dynamik zu bremsen.
Natürlich gibt es Zeitpunkte, wo alle Überlegungen über Sinn und Unsinn der Verbote ein Ende haben müssen und schnelles Handeln angesagt ist. Aber die Zerschlagung neonazistischer Kaderorganisationen wird die Bürger nicht von den Mühen entlasten, in alltäglicher Kleinarbeit eine Gegenkultur aufzubauen, die auch für die Claqueure von Hoyerswerda und Rostock attraktiver als Fremdenhaß ist.
„Wer die Ausländerfeindlichkeit wirklich bekämpfen will, der muß für eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten kämpfen“, schrieb im Februar 1989 eine Gruppe Hamburger Stadtteilaktivisten. Das gilt heute mehr denn je. Neben der bedingungslosen moralischen und finanziellen Unterstützung der Opfer und dem entschiedenen Vorgehen gegen rassistische Gewalttäter muß den deklassierten Menschen dieses Landes, die sich in ihren Quartieren nicht grundlos verraten und verkauft fühlen, überzeugend vermittelt werden, was denn das Vorteilhafte an einer offenen, pluralistischen Einwanderungsgesellschaft sein soll. Wer heute unreflektiert nach einem Verbot rechtsextremer Gruppen schreit, ohne sich gleichzeitig dem Lebensalltag dieser Menschen zuzuwenden, setzt sich dem Verdacht aus, die soziale Dynamik, die dem Rechtsruck zugrunde liegt, formal abwickeln zu wollen. Verbotsanträge und die Verschärfung des Strafrechtes werden einflußreiche Fraktionen der CDU/CSU nicht davon abhalten, rassistische Sündenbockkonstruktionen zu hegen und zu fördern.
Beide Parteien haben in der zurückliegenden Dekade keine Möglichkeit ausgelassen, in lokalen und bundesweiten Wahlkämpfen die „Ausländer- und Asylantenfrage“ zum zentralen Thema hochzupuschen. Die Folge: In breiten Teilen der Bevölkerung hat sich der Kurzschluß „Gesellschaftsprobleme sind Ausländerprobleme“ zur unhinterfragten Wahrheit verdichtet.
Bis zum Sommer 1992 erwies sich politisches Krisenmanagement mit Hilfe von rassistischen Sündenbockkonstruktionen als funktional. Nachdem sich aber die hilfreichen Flaschengeister verselbständigt haben und die internationale Öffentlichkeit nicht mehr diskret darüber hinwegsieht, geraten Rassismus und Fremdenfeindlichkeit außer Kontrolle und werden selbst für stramm rechte Demokraten dysfunktional.
Ein friedfertiges Zusammenleben wird es in der Bundesrepublik jedenfalls erst dann geben, wenn sich dieses Land vom Blutsrecht verabschiedet und sich die Republik demokratisch zum Einwanderungsland ausgestaltet. Eberhard Seidel-Pielen
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