Verantwortlich ist die Gattung

Der Dokumentarfilm „Die Epoche des Menschen – Das Anthropozän“ reiht Bild an Bild, wie die wachsende Weltbevölkerung den Planeten kolonisiert und ausbeutet

Scheinbar fröhlich bunt: Arbeiter auf der Müll­deponie im nairobischen Dandora Foto: Happy Entertainment

Von Eva Behrendt

Aufgeplatzte Plastiksäcke, schmutzigbunte Lumpen, Technikschrott, obendrauf eine Armee zotteliger Marabus: So sieht der Arbeitsplatz vieler Familien auf der Mülldeponie Dandora bei Nairobi aus. Aus der Ferne verändert sich das Bild, wird zur Gebirgslandschaft, deren Konturen verschwimmen. Grauweiß dominiert, durchsetzt von bunten Pixeln.

Pointillismus, Abstraktion, Erhabenheit: Den Schritt von der Nah- zur Großaufnahme durchmisst fast jede Episode des kanadischen Dokumentarfilms „Die Epoche des Menschen“. Und fast immer löst das Wegzoomen in die Totale der Drohnenper­spek­tive Erstaunen und Erschütterung aus über das ungeheuerliche Ausmaß menschlicher Eingriffe in die Umwelt.

Die durch Marmorabbau ausgehöhlten Gipfel bei Carrara in den Apuanischen Alpen, die plötzlich winzig erscheinenden Kohle-Abraumbagger, immerhin die größten Maschinenfahrzeuge weltweit, im RWE-Tagebau Garzweiler, der sich (tatsächlich immer noch) gefräßig auf umliegende Wälder und Dörfer ausdehnt, die gigantischen poolblauen Salzwasserbecken in der chilenischen Atacamawüste, in denen Lithium gewonnen wird, das dann wiederum von Robotern in endlosen Werkhallen in Michigan in Batterien für E-Autos montiert wird.

Die Liste lässt sich noch lange fortsetzen. Denn die Kana­die­r*in­nen Jennifer Baichwal (Regie), Nicholas de Pencier (Kamera) und der Fotokünstler Ed Burtynsky haben zahlreiche Beispiele für den Ab- und Umbau des Planeten für die Zwecke des Menschen (einiger Menschen) in diesen letzten Teil ihrer Trilogie gepackt, der auf „Manufactured Landscapes“ (2006) und „Watermarks“ (2013) folgt.

Hatten die Vorgängerfilme noch einen jeweils kleineren Fokus – das Porträt Burtynskys, der fotografisch die rasante Industrialisierung Chinas oder die Bewirtschaftung von Wasser abbildet –, sammelt „Die Epoche des Menschen“ möglichst umfangreich Beispiele für die nicht mehr ganz originelle These, dass die erdgeschichtliche Epoche des Holozän mittlerweile vom Anthropozän abgelöst worden ist. Auch dieser dritte Film spielt noch mit der Ambivalenz aus ästhetischem Genuss und moralischem Schauder, der in Ed Burtynskys spektakulärer Industrielandschaftsfotografie angelegt ist. Aber sie tritt doch ziemlich hinter seinem Appell- und Aufrüttelungscharakter zurück.

Das zeigt schon die Episode an, die den Film rahmt: Wildhüter schichten riesige Scheiterhaufen aus 105 Tonnen beschlagnahmter Stoßzähne von rund 8.000 Elefanten auf, die die kenianische Regierung öffentlich verbrennen lässt, um so ein Zeichen gegen die Wilderei zu setzen (dass es auch Kritik an dieser Praxis gibt, weil quasi Geld verbrannt wird, bleibt unerwähnt). Elfenbein, das wohl sonst von asiatischen Kunstschnitzerinnen zu kostbaren dreidimensionalen Skulpturbildgeschichten verarbeitet worden wäre. Ironie der Geschichte: Seit der Elfenbeinhandel illegal ist, greifen die Schnitzwerkstätten auf Mammutzähne zurück, die sich im neuerdings auftauenden sibirischen Permafrost finden.

Doch zwischen Anfang und Ende, wo sich ein Häuflein Menschen endlich gegen den Raubbau an der Natur, deren Teil wir ja sind, auflehnt, jagt der Film von Beispiel zu Beispiel. Kalibergwerke in Russland, Phosphatgewinnung in Florida, Urwaldabholzung in Nigeria, Uferstabilisierung mit riesigen Betonelementen am südchinesischen Meer, aber auch hochkulturelles Tanztheater vor Honoratioren zur Einweihung des neuen Gotthardtunnels in der Schweiz.

Manchmal erklären Fachkräfte oder Betroffene in dürren Sätzen, was am jeweiligen Ort geschieht, vor allem aber verbindet eine Erzählstimme – im Original Alicia Vikander, in der deutschen Version leicht märchenonkelnd Hannes Jaennicke – das ausufernde Material.

Der Film spielt mit der Ambivalenz aus ästhetischem Genuss und moralischem Schauder

Doch dieses Ausufern, ist es nicht Konzept? Als Spiegel der Maßlosigkeit, mit der die wachsende Weltbevölkerung den Planeten kolonisiert und ausbeutet, bis sie sich gegen sie wendet? Und verfehlt andererseits die erschlagende Addition des Raubbaus, ob legal oder kriminell, nicht den Zweck, das Publikum zu aktivieren? Denn: wo anfangen?

Auch Dokumentarfilme wie – nur zum Beispiel – „Dark Eden“ (2018) oder „Machines“ (2016) haben sich in den letzten Jahren mit Industrien beschäftigt, die Mensch und Landschaft gleichermaßen gefährden, ja zerstören. Rahul Jains „Machines“ drang, durchaus ästhetisch fasziniert von Stoffen, Farben, Körpern, in das Labyrinth einer indischen Textilfabrik vor und erforschte es bis tief in seine sozialen Sackgassen.

In „Black Eden“ erzählte Regisseurin Jasmin Herold autobiografisch, wie sie sich bei einer Recherche im kanadischen Fort McMurray in den in der Ölsandindustrie beschäftigten Michael Beamish verliebt, der an den von der Ölsandförderung erzeugten Giften erkrankt. Beide Filme lassen die Zuschauerin teilhaben am Verstehen menschengemachter Systeme.

Solche Zusammenhänge tippt „Die Epoche des Menschen“ höchstens an; verantwortlich gemacht wird letztlich die Gattung Mensch und nicht Unternehmer, die Politik oder einzelne Nutznießer. Immerhin endet der Film mit einer recht interessanten, wenn auch vermutlich nicht ganz CO2-neutralen Idee: der Verbrennung von Geld.

„Die Epoche des Menschen – Das Anthropozän“. Regie: Jennifer Baichwal, Nicholas de Pencier und Edward Burtynsky. Kanada 2018, 87 Minuten