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VenezuelaDas System Chavez strauchelt

Venezuela bekommt die Abhängikeit vom Erdöl zu spüren. Seitdem die Erdöleinnahmen nicht mehr so reichhaltig sprudeln, muss der Staat die Mittel für Sozialprogramme reduzieren.

Die Ausgaben für Sozialprogramme sind 2008 stark zurückgegangen. Bild: dpa

Die Löcher in den Regalen der staatlichen Mercal-Supermärkte sind nicht zu übersehen. Huhn ist wie Reis und Nudeln immer öfter nicht zu haben, wenn María Santiago einkaufen geht. Der 44-jährigen Mutter aus dem Armenviertel "Los Erasos" fällt es zunehmend schwerer, die Zutaten für das Abendessen einzukaufen. Im Mercal-Supermarkt heißt es immer öfter: "gibts nicht", wenn die Kunden nach Milchpulver, Mehl oder Speiseöl fragen.

"Die Preise gehen nach oben, und das Angebot wird knapper", klagt die Mutter dreier Kinder, die mit ihrer Familie in einer Baracke lebt. Vom Fenster aus blickt sie auf die mit roten Fahnen gespickte Wellblechlandschaft. In "Los Erasos" dominieren die Anhänger von Hugo Chavéz. Doch Grundlegendes hat sich in dem Viertel in den letzten Jahren nicht geändert. "Zwar gibt es auch bei uns einen Gesundheitsposten, aber Arbeit hat uns Chávez bisher nicht gebracht", klagt ein Nachbar hinter vorgehaltener Hand.

Zehn Jahre ist der charismatische Präsident nun im Amt. Doch trotz lange kräftig sprudelnder Erdöleinnahmen ist die Bilanz nicht allzu rosig. Zwar konnten die Armuts- wie die Analphabetenquote merklich gesenkt werden.

Doch Experten wie der in Caracas lehrende Politikprofessor Friedrich Welsch argumentieren, dass diese Erfolge wenig nachhaltig seien. "Wichtige Indikatoren wie Kindersterblichkeit sind nicht wesentlich gesunken, und wer die Etappen von der Alphabetisierung übers Abitur bis zur Uni absolviert, kommt danach nirgendwo unter, weil an der Qualität der Ausbildung gezweifelt wird", schildert Welsch die Kehrseite der Erfolge von zwei der wichtigsten Misiones Sociales. So heißen die Sozialprogramme der Regierung Chávez. Sie laufen seit 2003 und sollen die Situation in den armen Stadtvierteln verbessern. Finanziert werden die Programme in erster Linie aus den Mitteln des staatlichen Erdölkonzerns PdVSA. Doch dem geht das Geld für die Nahrungsmittelsubventionen im Mercal-Supermarkt, für Gesundheitsversorgung, Bildung und Armenspeisung angesichts der relativ niedrigen Weltmarktpreise für Erdöl aus. Wurden 2007 noch 7,1 Milliarden US-Dollar in die Misiones gepumpt, waren es 2008 laut PdVSA-Statistik nur noch drei Milliarden.

Derzeit bekommt Venezuela die einseitige Abhängigkeit vom Erdöl, die Chávez reduzieren wollte, voll zu spüren. "Um allen Verpflichtungen gerecht zu werden, müsste der Weltmarktpreis für Öl auf 75 US-Dollar pro Barrel klettern", schätzt Welsch. Er liegt mit 68 US-Dollar pro Barrel knapp darunter. Im ersten Halbjahr 2009 brachen die Einnahmen der PdVSA um 55,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein.

"Auch Anhänger der Regierung sind schon auf die Straße gegangen, weil der Staat seinen Zahlungsverpflichtungen nicht gerecht wird", sagt Welsch. Er prophezeit weitere Proteste. Denn in den Sozialprogrammen sind auch viele ihrer Anhänger untergekommen. Sie bangen um ihre Jobs in Mercal-Supermärkten und Gesundheitsprogrammen.

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20 Kommentare

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  • F
    frajo

    Ich lebe seit einem Jahr in Caracas. Was hier an Kommentaren geschrieben wird - ist oft mehr als geschriebener Blödsinn.Hier geht es nicht um links oder rechts, hier geht es für viele und das besonders bei der armen Bevölkerung, um das nackte Überleben.Nur in Europa kann man solche Artikel in einer gut eingerichteten Stube schreiben. Die Wirklichkeit hier ist viel grausamer als sich viele es sich vorstellen können. Ich empfehle mehr zuhören als reden und schreiben.

  • TH
    Tommy Hahn

    Fast der gleich Artikel des gleichen Autors stand mittlerweile auch auf Spiegel Online. Wenn die taz inhaltich kompatibel mit den deutschen Neocon-Organ Spon wird, dann sollte das doch zu denken geben... aber bei der taz wird ja lechts und rinks nicht verwechselt... oder doch?

  • I
    ICH

    Wiedermal Mal bemüht die TAZ einen rechten "Professor"... um Ihr konservatives Geschwätz der Öffentlichkeit anzudrehen, das sich fälchlischer Weise links nennende Blatt... ist links, aber nur links von CDU/CSU und manchmal auch rechts davon, wie dieser Artikel zeigt.. Also Vorsicht beim lesen.

  • V
    vic

    Ich hoffe, dass er das durchsteht. Allerdings muss er wieder lernen, das Volk für das er steht anständig zu behandeln. Sonst wird er nicht nur straucheln, sondern fallen.

    Nordamerika wird nichts unversucht lassen evtl. Schwächen auszunutzen. Diesen Stachel im Fleisch will man dort lange schon loswerden.

  • M
    Martin

    @ 25=42: sieh Dir Chavez und dessen Politik bitte vor dem Hintergrund lateinamerikanischer Geschichte an, nicht mit der Frage, ob Chavez 'ein moderner Linker' wäre. Das sind europäische Kriterien, aber in Lateinamerika zählt erstmal nur das, was an kleinen Fortschritten bei der Grundversorgung der meist elendig vegetierenden Menschen mit Nahrung, Gesundheitsvorsorge und Bildung erreicht wird, zum Beispiel überhaupt lesen zu können.

  • 24
    25 = 42

    Nun ja... Der Bericht ist tatsächlich ein wenig einseitig, zugegebenermaßen. Nichtsdestotrotz ist Chavez nicht eben ein netter Kerl. Es ist eine Schande, dass ein moderner Linker, oder zumindest ein Linker in modernen Tagen, sein Volk nicht zu regieren weiß ohne es so sehr einzuschränken. Und auch diese ganze Dumpfbackenpolemik seinerseits ist einfach scheiße.

     

    Selbstverständlich hat er seinem Volk auch viel gutes getan. Aber deswegen muss man das noch lange nicht in jeden Bericht einbauen oder muss mit der Kritik immer vorsichtig sein - ein aufgeklärter Linker sollte diese ohnehin hinnehmen können.

  • F
    filtor

    @Benjamin: Dein Beitrag ist sehr unsachlich. Lies z.B. nochmal die gar nicht so undifferenzierten Kommentare von Martin und Lars. Kritisiert wird die Art der Berichterstattung: In Form eines Berichts wird in der taz - unter Berufung auf einen rechten "Experten" - die Bilanz der Regierung Chavez angegriffen und ihr angebliches Scheitern gefeiert ("System strauchelt"). Nach seriösen Berichten ist Venezuela hingegen - übrigens im Gegensatz zu seinen Nachbarländern, die in der taz sehr selten kritisiert werden - extrem erfolgreich, was die Verringerung von Armut und den verbesserten Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung angeht (lies nur den von Pablo Pérez verlinkten Bericht!). Das zur Nebensache zu erklären, ist nicht nur anti-emanzipatorisch, sondern schon menschenverachtender Zyniker.

  • B
    Benjamin

    Aber hallo, da kochen ja die Gemüter hoch wenn dem heiligen Hugo von Caracas mal nicht angemessen gehuldigt wird. Ich glaube mich zu erinnern, nicht zu wenige positive Beiträge zum Thema Venezuela hier in der TAZ gelesen zu haben. Insofern finde ich es angemessen und richtig, auch gegenteiligen Meinungen ein Forum zu geben. Ansonsten haben wir hier eine Situation wie mit der vielgerühmten Israel-Kritik, die ja "auch mal erlaubt sein muss", aber die Venezuela Kritik, bitte bitte, das darf nicht sein, gell...

  • L
    Lars

    Auch in der TAZ nur die übliche, durch nichts belegte, Anti-Venezuela Hetze. Gerade bei der TAZ hätte ich das so nicht erwartet. Oder eigentlich doch, würde mir mal wünschen das man die Forderungen gegenüber Venezuela auch mal anderen Ländern stellen würde. Wie würden den Ihre Zahlen bei Senkung der Armut und des Analphabetentums wohl aussehen. Stimmt bei denen ist das ja egal, da sie den wahren weg der Anpassung an neoliberale und antifreiheitliche Dogmen erfüllen. Unser so erfolgreiches System hat im gleichen Zeitraum einen Höchstand an Armut erzeugt und immer mehr Menschen an der Teilhabe eines würdigen Lebens ausgeschlossen. Das ist natürlich deutlich besser(scheinbar zumindest solange wie es TAZ-Schreiber nicht betrifft)

  • M
    martin

    Bitte, bitte, liebe Leute, die TAZ war doch einmal progressiv? Das 'System Chavez' ist tausendmal besser als alles, was wir in vielen Ländern Südamerikas aus der Vergangenheit und oft auch aus der Gegenwart kennen, brutale Ausbeutung für eine Elite im Zusammenspiel mit den USA, mit rechts gerichteten Todesschwadronen, der CIA und anderen Mörderbanden. Chavez ist kritisierbar, aber doch nicht derartig unreflektiert und ohne jeden Vergleich mit der Vergangenheit. Es sind jährlich viele Ölmilliarden, die dort - wie problematisch auch immer - den Armen der Gesellschaft nutzen, die der Gesundheit, der Bildung, der Versorgung dienen, statt wie früher in den Kassen einer Kaste von Kapitalisten spurlos zu verschwinden und dann heimlich auf deren Schweizer Bankkonten wieder aufzutauchen. Und das ist es doch, die Abkehr von der Menschenverachtung.

  • GE
    Gert Engel

    Die taz sollte so schlecht recherchierte Artikel unbedingt vermeiden, wenn sie weiter glaubwürdig bleiben will.

    Und vor allem einer so tendenziösen Überschrift schleunigst gegensteuern.

    Die Kommunikations-Fachleute in der taz müssten eigentlich wissen, wie solche Titelzeilen wirken, und dass informativer Journalismus solche Schlagzeilen unbedingt vermeiden muss.

    Ich hoffe nicht, dass man in Zukunft bei der taz misstrauisch sein muss wie bei der faz.

  • K
    knt

    Mich hätte ja mal interessiert warum die es immer weniger Lebensmittel zu kaufen gibt. Davon redet der Artikel leider nicht. Ist das Land weniger fruchtbar? Gibt es weniger Bauern? Was haben die Großgrundbesitzer damit zu tun?

  • SK
    Silke Kemmerer

    Erst dachte ich, ich lese die FAZ statt der taz... da wird einfach das schon zig Mal widerlegte Geschwätz der Rechten wieder aufgewärmt. Doch dann musste ich feststellen, es ist die taz! Ist das ein neues Nebenprodukt? Nach taz Berlin nun auch taz Rechtskonservativ? Warum muss ich in der taz so schlecht recherchierte und haltlos Beiträge lesen?

  • PP
    Pablo Pérez

    Ein weiterer Skandal ist, dass die Regierung Chávez in zehn Jahren die extreme Armut halbiert hat! Und das, wo es andere Regierung in der selben Zeit schaffen, sie zu verdoppeln! Ein Skandal diese Sozialpolitik! Dazu kommt die Ungleichheit: Diese ist jetzt noch geringer als vor zehn Jahren (Gini-Index: 41 (2008) und 48,1 (2003))!

     

    http://www.cepr.net/index.php/press-releases/press-releases/report-examines-economy-and-social-indicators-during-the-chavez-decade-in-venezuela/

    http://www.venezuelanalysis.com/analysis/4182

  • TO
    Thomas Offenschank

    Lechts und Rinks kann man nicht verwechseln? Bei der zat offensichtlich schon... und auch Hut Knenkel kennt der Unterschied offensichtlich nicht. Aber warum verrät er der Leserschaft nicht, dass sein "Experte" Welsch ein Rechtsaußen der Konrad-Adenauer-Stiftung ist?

  • AW
    Anne Willems

    Die CEPAL (Uno-Unterkommission für Lateinamerika) bescheinigt Venezuela die beste Standfestigkeit gegenüber der Krise von allen Ländern Lateinamerikas. Die Arbeitslosenquote gehört mit knapp 7 Prozent zu den niedrgisten in Lateinamerik und selbst die ungeregelten Arbeitsverhältnisse im informellen Sektor konnten von 56 auf 45 Prozent zurückgedrängt werden in 10 Jahren. Und alle Absolventen des neuen Uni-Systems Universidad Bolivariana haben Arbeitsplatzgarantie. Ebenso findet seit Jahren ein hohe Migration aus anderen Ländern Lateinamerikas nach Venezuela statt, wegen des hohen Arbeitsangebotes...

     

    Ach, selbst die Deutsche Bank empfahl vergangenene Woche den Kauf von venezolanischen Staatsanleihen. Wohl kaum weil Venezuela "strauchelt", oder?

     

    Es stünde der taz gut, den Leserinnen und Lesern solche Artikel zu ersparen. Zumal wenn sie über die Hintertür und gegen jeden journalistischen Stil einen Rechtsaußen einer potenziell linken Leserschaft als "Experten" verkaufen.

  • F
    filtor

    "Zwar konnten die Armuts- wie die Analphabetenquote merklich gesenkt werden." Klar, für die taz bloße Nebensache, so was. Und auch überhaupt gar nichts im Vergleich zu den überaus erfolgreichen Bilanzen anderer Regierungen (in Südamerika wie anderswo) nach 10 Jahren...

  • NJ
    navajo joe

    Nun, ein Land, das Jahrzehnte von einer Oligarchie ruiniert wurde, lässt sich auch in 10 Jahren nicht so einfach sanieren, schon gar nicht bei dem extremen Wettbewerbsdruck des Weltmarktes mit all seinen höchst 'unfairen' Regeln (Wer z. B. ILO -Standards missachtet, daher billiger produzieren kann, wird mit Aufträgen 'belohnt', das Währungssystem ruht auf postkolonialen Säulen, Schulden von Diktaturen müssen von Nachfolgeregierungen beglichen werden, Multimillionäre können leicht Steuern hinterziehen u.s.w.).

     

    Chavez könnte zwar meines Erachtens manches anders und besser machen, z. B. könnte er sich endlich von seinem vermeintlichen Verbündeten im Iran distanzieren, z. B. könnte er kritische Öffentlichkeit - womit ich nicht das Propagandafernsehn der alten Oligarchie meine - stärker zulassen (statt Human Rights Vertreter auszuweisen), z. B. könnte er einen viel stärkeren Green New Deal anstoßen ( Ansätze dazu gibt es ),

     

    aber nicht zu vergessen ist: Sogar Ökonomie-Nobelpreisträger J. Stiglitz hat Venezuela 2007 für viele Ansätze gelobt, vgl.

    http://lanr.blogspot.com/2007/10/stiglitz-in-venezuela-pushes-public.html und http://www.venezuelanalysis.com/news/2719

  • SW
    Stanley Williams

    schade dass die reichen und mächtigen es immer wieder/noch schaffen, die armen idealistischen hinzuhalten und auszuhungern.......pfui

  • JO
    Jürgen Orlok

    Das hört sich ja an, als ob mal wieder ein 'rechter' Professor ( gedenke des Wirtschaftsethikers vor Kurzem ).... zum Experten erhoben worden wäre ...

    Ein guter Journalist, hätte in seinem Interview nach der wirtschaftlichen Situation bei Alternative ( normalkapitalistischer südamerikanischer Staat )

    gefragt, um den Interviewpartner ein wenig zu fordern, aber vielleicht war ER ja schon so überfordert ?