Venceremos: Revolutionsromantik
■ Henning Scherf schreibt über Nicaragua und nicht zu Ende geträumte Träume
Wer von Bürgermeister Henning Scherf heutzutage noch linke Töne vernehmen möchte, muss in die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ gucken. Dort, in der aktuellen Ausgabe, schreibt unser Oberhaupt nämlich zum Thema Nicaragua, Revolution und „nicht zu Ende geträumte Träume“.
Beim Lesen im lesefreundlich zielgruppenangepassten Großpunktlayout der Wochenschrift spürt man ihn wieder, den Hauch der frühen 80er Jahre, und erinnert sich: Wie der damalige Jugend- und Sozialsenator das Bremer Establishment düpierte und seine Amtsstube für einige Woche mit einer mittelamerikanischen Hütte eintauschte – fast schon ein Akt von bundesdeutscher Che-Guevarität war das, wo das Jugendidol doch auch seinen kubanischen Ministersessel in Richtung bolivianischen Urwald verlassen hatte.
Scherf debattierte also vor Ort mit den Kaffeepflückern, pflückte selbst und beschreibt heute die „Spannung zwischen den luxuriösen, abstrakten Verstiegenheiten westlicher Intellektueller und dem schwierigen Versuch, eine Gesellschaft wirklich gerechter, fairer und freier zu organisieren ... das kleine Nicaragua war Symbol für alle, die die Welt noch verbessern wollten.“
Zu denen gehörte er selbst selbstverständlich auch. Unvergessen seine Mittelstreckenraketenblockade in Mutlangen oder die ständigen Klavierspieler-Duelle mit Helmut „Doppelbeschluss“ Schmidt. Aber wo schlägt das Bürgermeisterherz denn heute so? Via „Zeit“ erfährt der geneigte Bremer von der gesammelten Dialektik Scherf'scher Standortbestimmung: „Die Revolution hatte gesiegt und ist dann doch gescheitert ... wie nah sie noch ist und wie weit doch schon entfernt.“ Wahrscheinlich so fern wie die Verkehrsberuhigung des Viertels. HB
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