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Vegan sein und Ethik Ist Honig wirklich verboten?

Veganer streiten über die Ausbeutung von Bienen. Muss man auf Honig verzichten? Ein Weg zur Entscheidung.

Ein Kilo Honig verspeist jeder Deutsche im Jahr – das ist weltweit Spitze. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Dunkel und verraucht ist die Berliner Kneipe mit dem polnischen Namen im Stadtteil Kreuzberg. Hier bekomme ich die Ware. Die Wirtin hinter dem Tresen reicht sie rüber. Das Süße ist verboten – zumindest für mich als Veganer. Das Glas Stadtbienenhonig ist mein erster Honig nach mehreren Jahren Verzicht auf diese Götterspeise.

Bienen stellen Honig aus Blütennektar und – als Waldhonig – aus Honigtau her, einem Ausscheidungsprodukt Pflanzensaft saugender Läuse. Da ich als Veganer nichts von Tieren konsumiere, sind Honig und die anderen Bienenprodukte wie Wachs, Pollen, Gelee Royal und Propolis tabu. Eigentlich. Aber werden Bienen wirklich ausgebeutet?

Stadtimkerin Erika Mayr bewirtschaftet neben der Kneipe ein Dutzend Bienenvölker. Ihr Honig aus der Stadt sei rückstandsarm und oft aromatischer als Landhonig. Denn die Stadtbienen finden eine größere Blütenvielfalt und nehmen kaum Pflanzenschutzmittel auf.

Das vielfältige Nahrungsangebot stärke zudem das Immunsystem der Bienen und in der Stadt müssen Bienen nie hungern, erzählt mir Erika Mayr, denn es gebe genügend Parks und Brachflächen. Ihre Futterquellen werden nicht wie Felder von heute auf morgen abgemäht. So sterben auch im Winter in der Metropole weniger Bienen. Auf dem Land sind die Verluste der Völker mit teils über 30 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in der Stadt.

Bienen brauchen Honig für ihre Brut

Bienen brauchen Honig nicht nur für ihre Brut. Im Winter braucht ein Bienenvolk Honig zum Überleben. Dennoch hat Mayr wegen ihres Honigklaus kein schlechtes Gewissen. Einen Teil des Honigs lässt sie im Stock. „Ich nehme nur von den verdeckelten Waben für den Winter. Nie von dem Honig ums Brutnest“, sagt sie. Dennoch stellt sie nach der Honigernte jedem Volk zur Sicherheit im Juli und August Zuckersirup in den Stock.

Aus diesem machen ihre Sommerbienen dann Honig für das Winterfutter. „Ich habe nicht das Gefühl, sie zu übernutzen.“ Eine artenreiche Natur- und Kulturlandschaft wie in Deutschland ist auf die Bestäubungsleistung von Insekten angewiesen, auf die behaarten Hautflügler wie Honigbienen sowie die rund 550 heimischen Wildbienenarten ganz besonders.

Auch die Hummeln gehören dazu. Sie gewährleisten nicht nur das Überleben vieler Wildpflanzen, sondern sind auch für den Anbau etlicher Kulturpflanzen unverzichtbar, die zu Futtermitteln, Agrotreibstoffen und natürlich Lebensmitteln werden. Dazu gehören Äpfel, Kirschen, Pflaumen und Beeren sowie Melonen, Gurken, Kürbisse und Erbsen. Ein Drittel von dem, was wir essen, gäbe es ohne Bienen nicht.

Ich habe für die passionierte Bienenfrau, die täglich ihr Honigbrot isst, ebenfalls etwas zum Naschen mitgebracht: Veganen Honig. Den Fruchtzucker mit Honigaroma findet sie wenig überzeugend. Tatsächlich hat der Honig von Erika Mayrs Bienen deutlich mehr Aroma. Warum sollte ich als Veganer dann Honig meiden?

„Bienenerbrochenes”

Auf seiner Website bezeichnet ein radikaler Veganer Honig als Bienenerbrochenes. Er kritisiert die Bienen-Ausbeutung, das Töten kranker oder unproduktiver Völker und das Flügelstutzen der Königinnen, mit der die Imker das Ausschwärmen der alten Königin mit einem Teil des Volkes verhindern wollen. Die Methode ist unter Imkern allerdings umstritten, der tatsächliche Erfolg erscheint fraglich.

Dafür gibt es andere Möglichkeiten oder Vorrichtungen, um die Schwärme gleich wieder einzufangen. Schmerzhaft scheint das Stutzen der Chitinflügel für die Königin aber nicht zu sein. Allerdings fällt sie ohne Flügel hilflos vor den Bienenstock und stirbt dort.

Bienen töten? Kranke Bienenvölker werden tatsächlich bisweilen abgeschwefelt, also mit brennendem Schwefel vergast. Das kann bei der meldepflichtigen Amerikanischen Faulbrut vom Amtsveterinär angeordnet werden – das Volk würde aber ohnehin sterben. Ansonsten scheint das Töten eher die letzte Wahl zu sein. Schwache Völker, die zu wenig Honig erwirtschaften oder den Winter nicht überleben würden, löst der Imker in der Regel auf: Er vereint sie mit kräftigeren Völkern. Nur die Königin bleibt auch hier auf der Strecke.

Die haben bei der Imkerei trotz potenziell langer Lebensdauer von fünf Jahren meist das Nachsehen. Imker wollen oft lieber junge Königinnen, die nur ein Jahr alt sind. Also entfernt man die „alte“, um den Ertrag zu steigern oder um andere genetische Eigenschaften beim Nachwuchs zu bekommen.

Sticht die Biene den Imker, dann stirbt sie – für mich als Veganer ein ethisches Problem. Auch beim Abfegen der Bienen, wenn der Imker die Waben rausnimmt, sterben immer mal wieder einige Dutzend Tiere. Bei einer maschinellen Ernte sieht die Verlustrate noch ganz anders aus. Aber als Autofahrer, dem jeden Sommer Hunderte Insekten auf der Frontscheibe kleben, will ich den Tod der Bienen durch die Imker nicht überdramatisieren. Als Rechtfertigung fürs Honigessen, reicht mir das jedoch nicht.

Bei Imkern gibt es erhebliche Unterschiede im Umgang mit den Tieren. Für die meisten Imker sind ihre Bienen ein Hobby wie für Erika Mayr. Im Schnitt halten Imker nur sieben Völker. Lediglich zwei Prozent der deutschen Imker besitzen mehr als 50 Völker, die im Frühsommer aus jeweils 40.000 bis 60.000 Tieren bestehen können. Da sie frei fliegen und sich nicht zähmen lassen, bleiben es Wildtiere.

Laut Landwirtschaftsministerium liegt der deutsche Pro-Kopf-Verzehr an Honig mit über einem Kilo pro Jahr weltweit an der Spitze. Kein Wunder also, dass der in Deutschland konsumierte Honig zu 70 bis 80 Prozent aus Importen stammt, zumeist aus Lateinamerika, Spanien, Bulgarien und China. In der gesamten EU betreiben 97 Prozent die Imkerei höchstens als Nebenerwerb.

Nur ein Drittel der Stöcke gehören hauptberuflichen Imkern mit 100 und mehr Völkern. Zwar gibt es auch in Deutschland Großimker mit über 400 Völkern, aber das ist wenig im Vergleich zur tatsächlichen Massentierhaltung von Bienen in den USA. Nur fünf Prozent der Imker halten dort 95 Prozent der Honigbienen. Dass dabei nicht mehr auf einzelne Völker geschweige denn auf einzelne Bienen geachtet wird, ist naheliegend.

Bienenausbeutung für die Befruchtung

Tausende Völker werden in Trucks durchs Land gekarrt, um die Befruchtung diverser Pflanzen zu besorgen, unter anderem der Mandelbäume, die in gigantischen Plantagen in Kalifornien stehen. Da aus dieser Region 80 Prozent der weltweiten Mandelernte stammen, dürften auch die meisten Mandeln hierzulande ein Ergebnis der amerikanischen Bienenausbeutung sein. Aber auch die deutschen Bienen haben dem Imker kaum ihr Einverständnis signalisiert, genutzt zu werden. Ein Problem, für mich als Veganer.

Brauchen die Honigbienen den Imker? Anders als die ursprünglich verbreitete Dunkle Honigbiene können die gezüchteten domestizierten Honigbienen ohne Imkerei in Deutschland nicht mehr überleben. In den üblichen Wirtschaftswäldern fehlt es an geeigneten Nistplätzen. Vor allem aber könnte ohne regelmäßige Behandlung durch die Imker kein Volk lange gegen den Befall der Varroa-Milbe bestehen.

Diese Milbe ist seit einigen Jahrzehnten eine immense Bedrohung für die westliche Honigbiene und die Imkerei geworden. Inzucht durch einseitige Zuchtziele auf Sammelfleiß und Sanftmut haben die über Millionen Jahre erfolgreichen Honigbienen genetisch anfällig gemacht. Zudem belastet die industrialisierte Landwirtschaft mit ihren Pestiziden die Gesundheit der Bienen. Der zunehmende Maisanbau führt dazu, dass Bienen vielerorts nicht mehr ausreichend Nahrung finden.

Eine Ironie, wo ausgerechnet viele industrielle Monokulturen auf die Bestäubung durch Honigbienen angewiesen sind. Wildpflanzen und eine abwechslungsreiche Ackerbepflanzung kämen hingegen ohne Honigbienen aus, wenn es genügend Wildbienen gäbe. Deren Bestäubungsleistung ist eigentlich von noch größerer Bedeutung, nur für Monokulturen ist sie unzureichend.

Honigbienen verdrängen die Wildbienen

Wildbienen sammeln auch Nektar, legen aber keine Honigvorräte an, weil sie einzeln leben oder nicht als Volk überwintern. Sie sind häufig auf bestimmte Blüten spezialisiert, brauchen unbearbeiteten Boden und kommen noch schlechter mit Pflanzenschutzmitteln und der ländlichen Artenarmut zurecht. Ein massenhaftes Auftreten der westlichen Honigbiene kann Wildbienen verdrängen oder sie mit Krankheiten infizieren. Und selbst geringe Bestände an Honigbienen können das Überleben von Wildbienen gefährden, wenn im Frühsommer plötzlich Nahrungsmangel herrscht, weil vermeintliche Unkräuter abgemäht werden.

Die Hälfte der Wildbienenarten steht auf den Roten Listen der Bundesländer für gefährdete Arten. Mein Honigvorrat ist inzwischen aufgebraucht. Nur vom veganen Fruchtzuckersirup ist noch was übrig. Honig werde ich mir auch künftig nicht aufs Brot schmieren. Denn ohne Opfer geht es auch beim Hobbyimkern nicht. Bei Erika Mayr halte ich mich ans Bier.

Andreas Grabolle, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 3/2014. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.