Vaterschaft: Hickhack um Scheinväter
Seit Juni dürfen Behörden Vaterschaften anfechten, wenn die nichtdeutsche Mutter mit der Vaterschaft eines deutschen Vaters einen Aufenthaltstitel erlangte. Berlin streitet, wer zuständig ist
Kommt das uneheliche Kind einer Asylbewerberin oder einer nur geduldeten Ausländerin und eines deutschen Vaters zur Welt, dann erwirbt es mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Mutter bekommt als Alleinerziehende eines Deutschen ein Aufenthaltsrecht bis zur Volljährigkeit des Kindes. Um die angeblich zahlreichen Missbrauchsfälle aufzudecken - Männer erkennen eine Vaterschaft an, damit die Mutter ein Bleiberecht erhält, können die Länder nun die Vaterschaft anfechten. Der Verein für binationale Familien und Vaterschaften befürchtet einen Generalverdacht gegen uneheliche binationale Partnerschaften. MAI
Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) streitet mit dem Rat der Bürgermeister über die Anfechtung von sogenannten Scheinvaterschaften. Sie hat diese Aufgabe den Bezirken übertragen. Dahingegen hat der Rat der Bürgermeister vor wenigen Wochen einstimmig dafür gestimmt, dass die Landesregierung zuständig sein soll. Dafür käme dann nur die Ausländerbehörde infrage. Bis Mitte September muss sich die Landesregierung jetzt erklären.
Es geht um binationale uneheliche Kinder. Seit Juni dürfen Behörden solche Vaterschaften vor einem Gericht anfechten, wenn ihrer Meinung nach die Vaterschaft einzig und allein dazu diente, der Mutter ein Aufenthaltsrecht zu gewähren (siehe Kasten).
Die Frage ist: Welche Behörde ist dafür zuständig. Die Entscheidung hat der Bundestag den Ländern überlassen. Infrage kommen Standesämter, Jugendämter und Ausländerbehörden. Ein Familiengericht entscheidet dann, ob der Vater wirklich Vater ist.
Kommt es zu der Erkenntnis, dass weder eine soziale noch eine biologische Vaterschaft vorliegt, wird die Vaterschaft hinfällig. Die Mutter verliert das Aufenthaltsrecht. Das Kind dürfte in vielen Fällen den deutschen Pass verlieren. Beide müssen ausreisen, wenn ihre Herkunftsländer sie nehmen.
Bis Mai nächsten Jahres können die Behörden Vaterschaften ohne Altersbegrenzung anfechten, also auch bei Kindern, die längst zur Schule gehen und integriert sind. Ab Juni ist eine Anfechtung immerhin noch bis zum 5. Geburtstag eines Kindes möglich.
Dass in Berlin bislang nicht die Ausländerbehörde zuständig ist, ist dem Druck von Grünen und Linken zu verdanken. Die wollten einen Generalverdacht gegen binationale uneheliche Kinder verhindern. "Die Ausländerbehörde entscheidet häufig zulasten der Flüchtlinge", ist die Erfahrung von Benedikt Lux (Grüne). "Ein Jugendamt entscheidet da sicher eher nach Augenmaß und ficht nur dort an, wo die Situation problematisch ist." Ob das Jugendamt oder das Standesamt Vaterschaften anfechten kann, sollen die Bezirke selbst entscheiden, sagt Senatoren von der Aue.
Die Bezirke wollen nun aber lieber, dass die Ausländerbehörde das macht. Das sehen auch die von der Linken und den Grünen gestellten BezirksbürgermeisterInnen von Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Friedrichshain/Kreuzberg so. Neuköllns stellvertretende Bezirksbürgermeisterin, Stefanie Vogelsang (CDU): "Das Votum des Rates der Bürgermeister ist eindeutig: Der Senat muss seine Entscheidung zurücknehmen." In ihren Augen erschleichen sich die Familien mit Scheinvätern Sozialleistungen wie Hartz IV, Krankenkassenleistungen und Unterhaltsvorschuss. In Neukölln geht Vogelsang von 60 Familien aus und einem Schaden für die Bezirkskasse von 240.000 Euro. Was sie nicht sagt: Das Geld, das der Bezirk mehr ausgibt, kommt Familien mit Kindern am unteren sozialen Rand zugute, mindert also die Armut in Berlin. Vogelsang befürchtet Umzüge der betroffenen Familien, um sich den Vaterschaftsprüfungen zu entziehen, und damit ein Behördenhickhack.
Das sieht der Parteichef der Linken in Berlin, Klaus Lederer, anders. "In den Ausländerbehörden entscheidet man nach ausländerrechtlichen Gesichtspunkten. In den Jugendämtern steht das Kindeswohl im Vordergrund." Deshalb gehöre das Thema in die Bezirke. "Wir werden dazu auch das Gespräch mit unseren Bezirksbürgermeisterinnen suchen, die anders abgestimmt haben."
Ähnlich der Grüne Benedikt Lux: "Bei den Bezirken kann man die Integrationsbemühungen der Familien besser einschätzen und wird keinen Generalverdacht gegen binationale uneheliche Kinder hegen. Deshalb soll die Kompetenz dort bleiben." Lux bemüht sich ebenfalls um ein Gespräch mit dem grünen Bürgermeister Frank Schulz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“