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Archiv-Artikel

Vater & Sohn

Der große Dramatiker Heiner Müller hat in seiner Autobiografie eine schöne Geschichte über Klaus Gysi, den Vater von Gregor Gysi, erzählt. Anfang der Fünfzigerjahre, auf einem Schriftstellerlehrgang, wurde Gysi, der damals beim Kulturbund arbeitete, über Johannes R. Bechers Text der DDR-Nationalhymne befragt.

Jeder wusste, so Müller, dass das ein Idiotentext war, aber keiner traute es sich zu sagen. Becher war der DDR-Nationaldichter schlechthin. Also sagte Gysi: „Was wollt ihr? Wenn Becher sie nicht geschrieben hätte, hätte Koplowitz sie geschrieben.“ Ein für Klaus Gysi typischer Satz: witzig, intelligent, zynisch. Denn er verteidigte Becher nur halbherzig und machte sich auf Kosten von Jan Koplowitz (Müller: „ein unbedarfter böhmischer Halbproletarier“) lustig.

Klaus Gysi, 1912 geboren, war Jude und Kommunist, Intellektueller und Funktionär – und hat an der DDR gelitten und trotzdem mitgemacht. Zeitweise liebte er seine vielen Frauen mehr als die Partei.

Klaus Gysi wuchs in einer großbürgerlichen jüdischen Familie in Berlin-Neukölln auf. 1931 trat er in die KPD ein. Er studierte in Paris, war dort 1939 interniert, kehrte nach Deutschland zurück und lebte bis Kriegsende illegal in Berlin.

Die SED war seine Heimat, aber vor dieser Heimat hat er sich auch gefürchtet. In den Fünfzigerjahren war es in der DDR gefährlich, ein jüdischer Kommunist zu sein, der während der Nazizeit als Illegaler in Deutschland geblieben war. Klaus Gysi wurde 1951/52 Opfer von SED-Schikanen.

Aber danach wollte er erst recht Karriere machen. Nicht zufällig in dieser Zeit verpflichtete er sich als geheimer Informant der Stasi. Gysi wurde Chef des Aufbau-Verlags, Kulturminister, später Botschafter in Italien und Staatssekretär für Kirchenfragen.

Gregor Gysis Vater war linientreu, aber er hat sich über die Linie immer wieder lustig gemacht. Das machte ihn nicht besser als andere Funktionäre, aber erträglicher. Als Kulturminister, Botschafter und Staatssekretär wurde er vom SED-Politbüro gefeuert – und doch hat der Kommunist Klaus Gysi die DDR und sich selbst auch nach der Wende noch verteidigt.

Gregor Gysi ist wie sein Vater: witzig, geistreich, eloquent, gebildet. Sogar den Charme gegenüber Frauen hat er von ihm geerbt. Gysi hat sich, wie viele Funktionärskinder in der DDR, an seinem Vater und dessen unbedingter Treue zur Partei gerieben. Zugleich hat er vom Einfluss seines Vaters profitiert. Er wurde mit 23 Jahren der jüngste in der DDR zugelassene Rechtsanwalt. Er verteidigte Regimegegner wie Bahro und Havemann.

Während dieser Zeit hatte Gregor Gysi berufsbedingt steten Kontakt zur Stasi. Er bestreitet bis dato, sich als Stasi-IM verpflichtet zu haben.

Gregor Gysi war, genau wie sein im März 1999 verstorbener Vater, eher untypisch für die DDR: zu intelligent, zu witzig, zu selbstironisch. Genau deshalb fiel der Anwalt in der Wende auf und wurde von seiner demoralisierten Partei, der SED, im Dezember 1989 zu ihrem Vorsitzenden gemacht. In der Nacht der Volkskammerwahl am 18. März 1990 wurde Gregor Gysi von seinem Vater angerufen: „Danke“, sagte der 79-Jährige, „du hast meinem Leben einen neuen Sinn gegeben.“ JENS KÖNIG