Väter: "Die Dinosaurier gehen in Rente"
Väter sind die Praktikanten der Familie - das behauptet Politikwissenschaftler Thomas Gesterkamp. Und wer hat Schuld? "Dinosaurier-Dads" und parasitäre Frauen.
taz: Herr Gesterkamp, Sie haben eine 16-jährige Tochter. Wie lange waren Sie in Elternzeit?
Thomas Gesterkamp: Wir waren beide selbstständig und haben uns die Elternschaft geteilt. Einer durfte schlafen und am nächsten Tag arbeiten, der andere hatte Kinderdienst. Als das Kind fünf war, pendelte meine Partnerin sogar für einen Job von Köln nach Wuppertal, da lag die Alltagsbewältigung eher bei mir. Jetzt ist unsere Tochter in der Pubertät, nun ist wieder eher die Mutter gefragt. Zum Glück. Ich gehe nämlich nicht gerne shoppen.
Das heißt, Sie beide haben beruflich zurückgesteckt?
Thomas Gersterkamp, 9, ist Politikwissenschaftler, Autor und Journalist. Er lebt mit Partnerin und Tochter in Köln. Seit etlichen Jahren veröffentlicht er Bücher und Artikel zum Thema Männersoziologie und Männerpolitik, unter anderem 2004: "Die Krise der Kerle. Männlicher Lebensstil und der Wandel der Arbeitsgesellschaft". Gerade ist sein neuestes Buch bei Herder erschienen: "Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere".
Ja. Meine erstes Buch habe ich erst geschrieben, als das Kind älter war. Auch mein jetziges Leben mit vielen Reisen wäre damals unmöglich gewesen. Man muss in dieser Phase einfach etwas bodenständig bleiben.
War das schwer?
Nein, es war klar, dass das eine vorübergehende Phase ist. Wir haben aber auch nur ein Kind, das klassische Doppelkarrieremodell. Mit zwei Kindern wäre es schon schwieriger.
Nun hat Ministerin von der Leyen gerade verkündet, dass jetzt 7 Prozent der Väter Elterngeld beantragt haben. Immer noch nicht viel, oder?
Nun, in Großstädten wie Berlin sind es schon über 10 Prozent. Dazu kommt: Das Elterngeld gibt es erst seit Januar. Die ersten Monate nach der Geburt wird aber meist die Mutter zu Hause bleiben, etwa wegen des Stillens. Ich erwarte mittelfristig eine Väterrate im zweistelligen Bereich.
Es wird aber immer noch eine Mehrheit sein, die weiter arbeitet wie zuvor. Ulrich Beck hat das mal "verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre" genannt. Triffts das?
Das ist ein zwanzig Jahre alter Satz, damit erntet man immer einen billigen Lacher. Aber er beleidigt alle Männer, die gegen alle Widerstände ihre Vaterrolle leben wollen.
Die sind ja nicht gemeint. Sondern die anderen, die mit der sprichwörtlichen Distanz zum feuchten Textil.
Ja, ja, aber auch das ändert sich doch langsam. Mit pauschalen Anklagen kommt man da nicht weiter.
Was sollen die Frauen stattdessen tun?
Man muss die Arbeitsteilung schon genau absprechen. Da sind auch nicht alle Frauen klar in ihren Ansprüchen. Oft gibt es so eine unterschwellige Versorgungsmentalität und deshalb eine stille Komplizenschaft mit dem Versorgermodell. Das ist eine parasitäre Einstellung: Da soll der Mann ordentlich Geld nach Hause bringen und zugleich möglichst den halben Haushalt schmeißen und ein toller Vater sein. Ich gebe aber zu: Viele Männer machen sich auch nicht klar, das sie nun ein paar Jahre eben nicht mehr regelmäßig weiter zum Fußball und in die Kneipe gehen können. Und schöne Dienstreisen kann man auch vergessen.
Und dann kommt noch ein fordernder Chef dazu.
Das sind oft bequeme Ausreden. Auch von Frauen, die vielleicht ganz gerne mal eine Weile aussteigen wollen: "Mein Mann arbeitet in der Industrie", heißt es dann. Bei meinen Vorträgen sitzen öfter Männer, die meinen, ihre Frauen fänden das Leben im Vorstadt-Eigenheim zwischen Fitnessstudio und Reitstunden ganz in Ordnung. Frauen formulieren dann gar keine Erwartungen an diese Männer. Und die Männer verstecken sich ebenfalls - hinter ihren Chefs.
Viele Paare stolpern in die Traditionsfalle eher hinein, meinen Sie versöhnlich in Ihrem Buch. Wie das?
Die Männer nehmen ihr Privatleben nicht ernst genug und die Frauen nicht ihr Berufsleben. Die Mütter sagen: Vorläufig bleibe ich zu Hause, und daraus sind dann bisher oft zehn Jahre geworden. Umgekehrt unterschätzen Männer auch die privaten Risiken, in der Familie randständig zu werden. Bis hin zur Trennung, die irgendwann von enttäuschten Partnerinnen betrieben wird. Bei Scheidungen spielen oft die privaten Arbeitsarrangements eine Rolle.
Nun herrscht in den Betrieben aber ein rein männliches Arbeitsmodell mit Dauerpräsenzpflicht. Liegt es an der Betriebswirtschaft oder an der Psychologie, dass sich so wenig ändert?
Teilzeitarbeit ist betriebswirtschaftlich gesehen sehr effektiv. Deshalb muss es an der Psychologie liegen. In der britischen Forschung ist von den Dinosaurier-Dads die Rede. Sie versuchen, ihr eigenes Hausfrauenmodell bei jüngeren Kollegen durchzusetzen: Sei so wie ich, dann fördere ich dich. Sie haben auch Angst: Wenn die Kollegen sähen, dass da jemand schon mittags vom Parkplatz kurvt, dann leide die Arbeitsmoral. Die ist eben stark von diesem Präsenzmythos geprägt.
Sind diese "Dads" neidisch? Vielleicht sind sie in ihrem eigenen Privatleben schon gescheitert. Und die Jungen wollen sich jetzt einen "Luxus" erlauben, den sie sich selbst versagt haben.
Da ist vielleicht etwas dran. In betrieblichen Weiterbildungen würde das niemand zugeben. Aber in anderen Zusammenhängen, in Bildungseinrichtungen oder im kirchlichen Kontext, sitzen oft ältere Männer in den Seminaren, die darunter leiden, dass sie ihre Kinder nicht gut kennen. Sie sagen: Dass ich damals den Anschluss verloren habe, prägt noch heute das Verhältnis zu meinen Kindern - die rufen an und fragen zuerst nach der Mutter.
Wie kommt es dann überhaupt dazu, dass einzelne Betriebe sich ändern?
Die Dinosaurier-Dads gehen langsam in Rente. Bei der Commerzbank oder bei der Lufthansa, die aktive Väterpolitik betreiben, ist mittlerweile eine neue Generation von Vätern im Management. Deren Frauen verdienen gut und wollen eine andere Arbeitsteilung. Deshalb bin ich insgesamt optimistisch.
Im Moment richten aber viele Unternehmen eher Teilzeitarbeitsplätze für Frauen ein und kleben sich dann das Label "familienfreundlich" an.
Ja, da wird oft schlicht eine Mutti-Ecke eingerichtet. Väter können vielleicht noch zwei Monate Elternzeit nehmen. Aber wenn man langfristig auf eine Teilzeitstelle will, dann wird mit großer Vehemenz das männliche Normalarbeitsverhältnis eingefordert. Da heißt es dann: "Du willst doch hier noch was werden, oder?"
De facto versuchen Unternehmen Kosten zu sparen, indem sie Arbeitszeiten verlängern. Ist die viel beschworene Work-Life-Balance nicht doch ein Mythos?
Das muss nicht so sein. Warum soll einer alleine 60 Stunden arbeiten und der andere gar nicht? Warum können nicht beide 30 Stunden arbeiten?
Weil die Gewerkschaften dann einen vollen Lohnausgleich fordern?
Ich glaube nicht, dass man eine 30-Stunden-Kultur mit vollem Lohnausgleich durchsetzen kann. Da müssen sich auch die Gewerkschaften bewegen.
Es gibt eine verstörende Befragung von Angestellten, die US-Soziologin Arlie Hochschild veröffentlicht hat. Danach fanden viele ihren Arbeitsplatz erholsamer als das Chaos in der Familie. Was folgt denn daraus?
Ich selbst fand es auch erholsam, in meinem Büro mal kein Babygeschrei zu hören. Man bekommt im Beruf auch mehr Anerkennung. Manche Männer sagen zu mir: Die Arbeit macht mich viel zufriedener als das Familienleben. Sie identifizieren sich sehr stark damit.
Was folgt daraus? Sollen die keine Kinder bekommen?
Aber sie wollen doch Kinder. Sie sind eher hilflos. Das Problem ist, dass die Männer in dieser einseitigen Orientierung auf den Beruf verkümmern. Dann stehen sie wie ein inkompetenter Praktikant zu Hause herum - und ziehen sich lieber wieder in den Beruf zurück. Wenn sie Zeit und Gelegenheit hätten, sich in der Familie richtig einzubringen, würde dieses Überforderungsgefühl verschwinden. Jede dritte Scheidung wird nach Urlaubsreisen eingereicht. Warum? Weil die Familien da merken, dass sie nur noch durch permanente Distanzierung funktionieren. Da sitzen dann die Väter auf dem Campingplatz mit einer Zeitung und einem Bier und die Mutter geht mit den Kindern schwimmen.
Es fliehen tatsächlich jetzt schon viele Männer vor der Vaterschaft - der berühmte Zeugungsstreik.
Ja. Die Ansprüche der Frauen an ihre Väterlichkeit sind gestiegen, aber die Ansprüche an die Ernährerrolle sind nicht in gleichem Maße gesunken. Davor haben viele Männer Angst.
Wie kann die Politik helfen?
Sehr viel. Sie muss fördern, dass Frauen auch finanzielle Verantwortung tragen, damit Männer auch Väter sein können. Alles, was die Hausfrauenrolle stützt, muss weg: das Ehegatten-Splitting, die kostenlose Mitversicherung von Hausfrauen in der Krankenkasse. Frauen sollten keinen lebenslangen Unterhalt mehr nach einer Scheidung bekommen. Man kann sich auch fragen, warum Frauen, deren Männer früh sterben, lebenslang alimentiert werden müssen. Wenn sich das ändert, werden sich auch andere Beziehungskonstellationen ergeben.
Die Männer selbst brauchen keine Unterstützung?
Doch, zum Beispiel Führungspositionen in Teilzeit. Das sollte in einem Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft festgehalten werden. Und symbolisch sollte man das Familienministerium mit einem Geschlechter-Tandem besetzen, um zu zeigen, dass Führungspositionen teilbar sind.
INTERVIEW: HEIDE OESTREICH
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