Väter: "Ich brauche kein Vaterverdienstkreuz"
Robert Habeck ist Politiker, Schriftsteller und Hausmann. Ist sein Lebensmodell auch für andere Männer attraktiv? Er glaubt ja - ohne Elterngeld, aber mit Grundeinkommen.
taz: Herr Habeck, Sie sind Schriftsteller und Vorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein. Weshalb bezeichnen sich selbst als Hausmann?
Robert Habeck: Ironischerweise bin ich als Grüner Landesvorsitzender öfter außer Haus als früher, das stimmt. Aber ansonsten gibt es eine klare Abmachung zwischen meiner Frau und mir: Wir teilen uns die Arbeit. Sowohl die literarische - wir schreiben ja gemeinsam Bücher - als auch die Hausarbeit. Daher ist Hausmann zwar provokativ - aber nicht ehrenrührig.
Wollen Sie einen grünen Gegenenwurf etablieren, zur von Konservativen unter Artenschutz gestellten Hausfrau?
Robert Habeck, 37, Doktor der Philospohie, Vorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein, verheiratet, vier Söhne, schreibt gemeinsam mit seiner Frau Andrea Paluch Romane und Jugendbücher. Zuletzt erschienen: "Zwei Wege in den Sommer".
Ein großer Teil meines Lebens besteht nun mal darin, Kindern den Hintern abzuwischen, die Hausaufgaben durch zu gucken, einzukaufen und den Fußboden zu wischen. Der konservative Begriff gerät aber ins Schwimmen, wenn man ihn auf Männer anwendet. Wie können sie Kinder und Karriere vereinen? Diese Frage stellen Konservative nicht. Und darum geht es mir: von ihnen besetzte Begriffe nicht abzuwerten, aber ihnen nicht zu überlassen.
Begriffe wie Familie?
Ja, genau, Familie oder Gemeinschaft oder Leistung oder Freiheit: das sind zunächst leere Begriffe, die in der Vergangenheit mit konservativem Pathos aufgeladen wurden. Ich würde sie aber durchaus auch für mein Leben reklamieren. Und Ihre Nachfrage zeigt ja, dass das irritierend ist. Ich finde es aber den stärkeren Ansatz als die strikte Distanzierung von jeglicher Art von Gemeinschaftsgefühl, weil es sich um eine vorfaschistische Vokabeln handelt. Nur muss man es eben auch mit eigenen Inhalten füllen.
Was beinhaltet denn Ihre Aufwertung von Gemeinschaft?
Die Vater-Monate bei der Erziehungszeit etwa sind nicht super gemeinschaftlich. Ich hielte es für legitim, zu verschärfen, dass Frau und Mann da gleich gestellt werden und zu gleichen Anteilen zuhause bleiben bzw. arbeiten. Ein solches Verständnis würde die Betriebe verpflichten, dafür die Zeit- und Betreuungsformen zu schaffen und vielleicht auch irgendwann das Lohnniveau für Frauen zu heben - alles im Namen der Familie.
Wie passt diese Dogmatik zu Ihrem Freiheitsbegriff?
Ich glaube, es gibt im Moment eine verborgene Linie im Gesellschaftsdiskurs: Die Linke oder die emanzipatorischen Kräfte sind damit konfrontiert, dass die staatlichen Institutionsmechanismen nicht mehr tragen und trauen sich nicht, Neues zu wagen. Sie haben immer auf Vergesellschaftung gesetzt - in Abgrenzung zur Privatisierung. Jetzt stößt diese Strategie an eine Grenze und man muss sie ändern, wenn man nicht gegen die Privatisierung verlieren will.
Im Bezug auf Familie betreibt der Staat doch gerade sehr solidarische Politik: Elterngeld, Vatermonate - was wollen Sie Ursula von der Leyen denn entgegen setzen?
Ich weiß nicht, ob das die erste Niederlage ist. Ich definiere Familie jedenfalls nicht als biologische Einheit. Sonst betreibt der Staat mit Familienpolitik bloße biologische Reproduktionspolitik. Ob das seine Aufgabe ist, ist mindestens fraglich.
Wie definieren Sie Familie?
Zunächst als Ort für Beziehungsformen, die man erhalten und auch fördern muss, auf die der Staat jedoch keinen direkten Zugriff hat. Die Eltern-Kind-Beziehung ist eine exemplarische Form: Sie lebt von Vertrauen und Hilfe, die nicht auf Gegenseitigkeit ausgerichtet ist. Das lässt sich doch ausweiten auf Menschen, mit denen man nicht biologisch verwandt ist. Eine gute Familienpolitik ermöglicht genau das.
Ist Familie also doch ein Wert, wie es Konservative und Teile der Grünen proklamieren?
Ja, das ist sie auch, aber kein Wert an sich. Sie kann idealtypisch gedacht ein exemplarischer Ort sein, wo Leute Verantwortung übernehmen und zwar auf Dauer. Das Glück, das man erleben kann, wenn man emotional bestätigt wird, ist wertvoll. Aber das biologische Familienbild schwächt dieses Anerkennen ethischer Beziehungen. Und da muss der Staat regulierend eingreifen und die ehemaligen Familien-Privatsphären sozialisieren.
Was heißt sozialisieren?
Nehmen Sie Erbschaften. In der Familie werden sie traditionell in der biologischen Stammlinie weitergegeben. Man kann aber auch fragen: Wozu sind Erbschaften eigentlich da? Dann kommt man zu der Antwort, dass sie eigentlich der jungen Generation die Chance geben sollen, ihr Leben in irgendeiner Form abgesichert zu gestalten. Erbschaftsgleichheit wird jedoch nur als Steuerfrage und In-die-Tasche-greifen diskutiert. Dabei ließe sich "Erben für alle" durchaus mit einer aufgeklärten Familienpolitik begründen. Sie würde allen jungen Leuten eine Mündigkeit gewährleisten, nicht nur den eigenen Kindern.
Wie sieht es in Ihrer Familie aus - gibt es Mitglieder, mit denen Sie nicht verwandt sind?
Ich weiß es nicht genau, aber die Kinder sehen eher aus wie ich ...
Haben Sie jemals darüber nachgedacht, was für ein Vater Sie sein wollen?
In meinem Umfeld gab es bei allen den Abwehreffekt, es nicht so zu machen wie unsere Väter. Dazu brauchte es kein langes Nachdenken. Also haben wir den Wehrdienst verweigert, angefangen Müsli zu schroten, trotzdem weiter Fußball gespielt, Alkohol getrunken und irgendwann den Frühstückstisch für die Kinder gedeckt.
Das Modell für die geforderten neuen Väter?
Eher eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber "geforderten Rollen", würde ich sagen. Wenn man sich mein Leben ansieht, dann wirkt es ja erstmal total konservativ. Obgleich Schriftsteller: Ich habe Kinder, eigene. Ich wohne auf dem Land, das Haus irgendwann gekauft, alles total spießig. Das Verrückte ist nur, aus meiner Sicht sind all diese Sachen aus einer Protesthaltung heraus entstanden. Nach meinem Studium hatte ich die Chance auf Jobs bei Verlagen, und zwar bei keinen schlechten. Aber diese klassische Erwerbsbiografie, das fand ich ätzend. Da haben meine Frau und ich beschlossen: Wir werden jetzt erstmal Eltern.
Wogegen richtete sich da nun der Protest?
Gegen den Trott. Es war so etwas wie eine Abwehrreaktion gegen das erwartbare Leben, das jetzt anfing zuzuschlagen.
Heute würde Ihnen Ursula von der Leyen persönlich gratulieren, vor allem zu Ihren vier Kindern.
Wenn es ihr was bringt. Ich stehe nicht so auf Väterverdienstkreuze. Vor zehn Jahren jedenfalls haben in unserem Freundeskreis viele dumm geguckt und sich gefragt, was wir damit denn wollen. Ihr Plan war nach dem Studium klar: Erstmal ins Berufsleben rutschen und Karriere machen. Wir haben zwar auch promoviert, aber vor allen Dingen, um gmeinsam mit ersten Kind zu leben. Aber als die Zwillinge nachkamen, da haben wir gemerkt, dass wir mit dem Kindergeld soweit abgesichert sind, dass wir es selbstständig als Schriftsteller versuchen können und die Unilaufbahn wieder sausen lassen.
Demnach müssten Sie doch ein Fan des Kinder- und Elterngeldes sein?
Demnach bin ich ein echter Anhänger eines bedingungslosen Grundeinkommens - bedingungslos heißt ja auch, Transfers nicht biologisch festzulegen. Der familienpolitische Aspekt dieses Modells wird selten thematisiert: Es bietet auch eine Sicherheit, sich frei für Kinder zu entscheiden, und das zu jeder Zeit. Gerade im Alter zwischen 20 und 30 ist die finanzielle Absicherung von saatlicher Seite ein starker Gedanke. Es würde diesen Karriere-Hype und dieses Yuppietum etwas brechen.
Ließe sich Ihr Lebensmodell denn übertragen auf Männer, die in einem Unternehmen angestellt sind oder Karriere machen wollen?
Sicher habe ich da Vorteile. Aber es sind erstrittene und errungene. Jetzt würde ich dieses Erstreiten gerne verallgemeinern. Ich habe vielleicht andere Termine als ein Staubsaugervertreter, aber ich teile mir die Zeit trotzdem mit Prioritäten ein: Ich schreibe zur Zeit ein bisschen weniger, habe Termine als Vorsitzender, komme dann nach Hause und übe die Vaterrolle aus. Es klappt auch deshalb, weil meine Frau und ich mittlerweile sehr eingespielt sind. Das lässt sich auch in anderen Berufen regeln.
Wer von Ihnen beiden geht mit den Jungs Fußball spielen?
Das bin schon ich, ja. Was aber nicht ausschließt, dass ich mit ihnen auch einen Kuchen backe, ihnen vorlese oder mit ihnen male.
Gibt es Situationen, wo man als Vater an seine Grenzen gerät, weil die Mutter dann doch im Vorteil ist?
Stillen.
Okay. Darüber hinaus? Die Eva Herman-Fraktion argumentiert ja mit der besonderen Bedeutung der Mutter für die Bindungsfähigkeit.
Mein Alltag sagt mir etwas anders. Vieles ist doch Gewohnheitssache: Wenn man zwei Mal derjenige ist, der nachts schneller wach geworden und das Kind getröstet hat, dann ist man beim dritten Mal der, nach dem gefragt wird. Aber wenn die andere kommt, dann hat sich das nach zwei Malen wieder umgekehrt.
Werden Sie andererseits von Männern schief angeguckt, weil Sie Hausmann sind?
Mir ist es nicht negativ begegnet, nein. Aber sicher ist es diese Weichei-Haltung noch sehr präsent. Das bleibt ein Widerspruch in einer Gesellschaft, die einerseits verantwortungsvolle Väter will, ihnen aber wenn es hart auf hart kommt nicht mit sehr großer Achtung begegnet. Die Einseitigkeit ist das Problem. Außschließlich am Herd zu stehen oder ein Leben lang zu putzen ist für Männer so ätzend wie für Frauen. Bei mir sind Kinder auch kein Ersatz fürs Schreiben - es ergänzt sich.
INTERVIEW: SUSANNE LANG UND PETER UNFRIED
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