VORWAHLKAMPF : Der lange Marsch
Ich nutze meinen freien Nachmittag, um lange Versäumtes aufzuarbeiten. Nachdem ich ein gigantisches Arsenal an einzelnen Socken aussortiert und die Spinnweben von der Decke gesaugt habe, derentwegen meine Wohnung in letzter Zeit immer mehr an das „Lullaby“-Video von The Cure erinnert hat, steht ein letzter Punkt auf der Tagesordnung: Ich möchte mir eine Vorhangstange im Dänischen Bettenlager kaufen.
Als ich an der Storkower Straße aus der S-Bahn steige, merke ich, dass ich mich in der Hausnummer vertan habe. Ich versuche mich zu orientieren und werde prompt von einer BüSo-Wahlkämpferin angesprochen, die behauptet, „das Patentrezept“ zu besitzen, und mir weismachen will, dass es Obama „auf meine Großmutter abgesehen hat“. Ich bin verwirrt. Meine Großmutter ist schon seit 20 Jahren tot. Ich verstehe nicht, was die Frau von mir will, und flüchte.
Ich bahne mir meinen Weg durch Smog und Baustellenlärm und sehe plötzlich überall nur noch Wahlplakate. Die FDP wünscht sich, dass sich Leistung doch bitte endlich wieder lohnen möge, die Kanzlerin strahlt auf mich herab und gibt sich optimistisch, während die Grünen mehr Jobs und eine Million Elektroautos fordern. Oder war es andersherum? An Idiotie kaum zu überbieten ist ein Plakat der Linkspartei, auf dem eine Frau statt eines Arschgeweihs das Wort Socialist über den Steiß tätowiert hat. Mich fröstelt.
Dann schon lieber die MLPD, die Banken und Konzerne zur Kasse bitten möchte. Zweihundert Meter weiter proklamiert dieselbe Partei allerdings „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, was mir dann doch ein wenig zu weit geht.
Schließlich habe ich, mittlerweile delirierend, das Bettenlager erreicht. Jetzt schnell die Stange kaufen, mich in mein Zimmer einschließen und bis zum 27. September die Vorhänge zuziehen. ANDREAS RESCH