VILLAGE VOICE: Der Hang zum Extremen
■ Ein Sampler von Human Wrechords und eine erste Maxi der Kaspischen Ärsche und Karibischen Träume
Human Wrechords« sind mit Sicherheit das extremste Berliner Label. Das fängt bei den veröffentlichten Bands an und hört bei der Covergestaltung immer noch nicht auf. Wie unterschiedlich die Bands auf Human Wrechords sind, aber auch wie sie in verschiedenen Stilen fast manisch nach dem Außergewöhnlichen suchen, dokumentiert der Sampler Wrechord Compilation. Burst Appendix spielen ganz und gar nicht eingängigen Hardcore, Knochen-Girl machen unstrukturierten Kunststudentenlärm, absolut stumpf, absolut dämlich, irgendwie nicht zu ertragen. Trickbeat haben mit ihren Collagen aus Medienschnipseln und ihrem derben Humor schon einiges Aufsehen erregt. Die Troopers spielen einen Proletenpunkrock aus der Mülltonne, ähnlich wie Diskokolosst, auch wenn die etwas zäher sind. Polit-Avantgarde-Core von Mutter, Düster-Metal von Kiss Freak Steven, sehr spröder, charmanter Rock 'n' Roll von P.L.O., herrische Gesänge mit krachender Gitarrenuntermalung von Fleischlego und suizidanregende, strukturlose Geräuschattacken von Säubrenner.
Den einen mag die Musik zu geschmacklos sein, aber es wird sich kaum jemand finden, dem sie immer noch nicht extrem genug ist. Diese Compilation stellt keinen einheitlichen Label- Sound vor, weil es den bei Human Wrechords nicht gibt. Gemeinsam ist allen Bands eine eben nicht nur ein wenig andere Herangehensweise an die Genres. Manches ist nicht allzu neu wie P.L.O., manches einfach nur krank wie Säubrenner, manches eigentlich schon keine Musik mehr wie Trickbeat. Daß sie eines der interessantesten Labels in Berlin sind, haben Human Wrechords schon mit ihren vorherigen Veröffentlichungen klargemacht, aber der Sampler macht in seiner gesammelten Unausgeglichenheit den gnadenlosen Willen zum Experiment in alle Richtungen deutlich. Wer nach der Auflösung des Independent-Begriffes und dem Eindringen von vorher gut gehüteten Geheimnissen in die Charts seine Schwierigkeiten hat, Musik zu finden, die der Nachbar noch nicht hört, sollte sich ein Abo von Human Wrechords besorgen. Wenn irgendwas noch die Bezeichnung Underground verdient hat, dann diese Bands. Unangenehm stößt nur auf, wie die lobenswert gnadenlose Avantgarde eingepackt ist. Klar ist die Grenze zwischen guter Geschmacklosigkeit und schlechter sehr dünn, aber bei der Coverrückseite der Wrechord Compilation wird einem nur noch schlecht.
Im Gegensatz dazu sind »Die Kaspischen Ärsche und Karibischen Träume« recht bieder. Sie spielen einen straighten Punkrock ohne Überraschungen, der vor allem wegen der öden, stakkatohaften Gitarrenarbeit Punk ist, ansonsten aber recht behäbig vor sich hindümpelt. Sie singen deutsch auf ihrer ersten Maxi Helden der Nacht, aber ihre Texte reproduzieren auch nur dieses oder jenes Klischee, das an versifften Kneipentischen umgeht. Stolz prangt dann auch auf der Hülle die Erklärung, daß diese Platte von der Band selbst bezahlt wurde — mit Sicherheit die einzige Möglichkeit, das Ding zu finanzieren. Das sind wahrscheinlich nicht nur Kreuzberger Biertrinker, die unbedingt Musik machen wollen, das hört sich auch so an. Auch der wohl lustig gemeinte Fast-a-capella-Song Bau mal ein ist einfach nur peinlich. Definitiv die überflüssigste Band seit der Army of Lovers. Hier hat der Punkrock schon aufgehört unangenehm zu muffeln. Übungsräume sind eigentlich zu rar, um so eine Band tolerieren zu können. Thomas Winkler
Wrechord Compilation , Human Wrechords/ EFA 11809-08
Die Kaspischen Ärsche und Karibischen Träume: Helden der Nacht , Eigenvertrieb über Karl Konermann, Wiesenstraße 35, Berlin 65
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