piwik no script img

VILLAGE VOICEPoems for Barbara

■ Barbara Gosza: »Beckett & Buddha«. Eine leicht märchenhafte Plattenbesprechung mit überdurchschnittlich vielen Bs in vier schluchzenden Absätzen

Es war einmal ein Mädchen namens Barbara, das stand von früh bis spät in Berliner U- Bahnhöfen und sang, so schön es nur konnte. Es war kein besonders kalter Winter, selbst die BVG verkehrte einigermaßen pünktlich, und doch kullerte, man weiß nicht, war es alter Kummer, frühes Leid oder entsprang es ihrer Natur, einfach so quasi — jedenfalls kullerte gelegentlich eine Träne über Barbaras bleichen Teint, die das zarte Kind flugs auffing und mittels seiner Gitarre und gewisser magischer Techniken in pure Poesie verwandelte.

Satt freilich wurde es davon nicht, im Gegenteil. PoetInnen gelten im eigenen Lande in der Regel noch weniger als ProphetInnen, und Passanten, ohnehin meist bloß Erfüllungsgehilfen eines schnöden Realitätsprinzips, wissen das zu spüren lassen. Außerdem sind die Verhältnisse im Berliner Schienen-Untergrund auch sonst derart prosaisch, daß man sich, selbst als offenkundig legitime Nachfolgerin von Andersens Mädchen mit den Zündhölzern, ausweisen können muß — und zwar mit der grünen Karte für Straßenmusikanten, die an den einschlägigen Verkaufsstellen 20 Mark kostet. Oh kalte Welt! Weil unsere Heldin dieser Summe entbehrte und deshalb die Karte arglos gefälscht hatte, wurde sie — so jedenfalls erzählt man sich — von schergenhaften, mit Schäferhund auftretenden Brachial-Bürokraten (manche nennen sie auch »Bullen«) der U-Bahn verwiesen, also sozusagen Berufsverbot. Poor Barbara!

Beckett hin, Buddha her — schon schien der Stab über ihre Tränen-Kunst gebrochen. Weil sie nun aber so ganz ohne Falsch war, hatte das Schicksal ein Einsehen mit der wackeren kleinen Poetin, die sich im übrigen mit Nachnamen Gosza nannte und auch wirklich so hieß, weil sie nämlich von tschechischen Vorfahren abstammt (und außerdem in Chicago aufgewachsen ist und in Athen gelebt haben soll, wovon wir als professionelle Skeptiker aber nicht so hundertprozentig überzeugt sind: was zuviel ist, ist zuviel...) — jedenfalls schickte das Geschick ihr mit Sven Regener von Element of Crime einen sogenannten kongenialen Produzenten über den Weg, einen, der mit allen Möglichkeiten des modernen Tonträgerwesens vertraut ist, ohne sie zwanghaft ausspielen zu müssen. Er schneiderte den frierenden, halbverhungerten Songs ein königliches, aber dennoch wundervoll schlichtes, ja trotz DDD-Mastering irgendwie linnenes Kleidchen auf den Leib, auf daß alle Menschen mit Sinn für moderne Märchen und glückliche Enden sich daran erfreuen.

Das tun sie seither auch, und bei der allgemeinen Verfaßtheit unseres öffentlichen Interesses sollte es nicht wundern, wenn wir Barbara Gosza demnächst auf den Titelblättern der Illustrierten begegnen. Im ME/Sounds wurde sie jedenfalls schon ein wenig abgefeiert — was nicht selten der Anfang vom Ende ist. Trotzdem möchte auch der schüchterne Schreiber dieser Zeilen sein Scherflein zum Gosza-Lob beitragen: diese Texte, diese Stimme! Diese gewisse Dosis Ost-Soul! Aaaaah! Zwar kann er nicht ganz von der Behauptung lassen, einzelne Zwischen- und Untertöne so oder so ähnlich schon mal gehört zu haben — bei den Alten, bei Leonard Cohen und Jim Croce, aber auch den Neueren: Suzanne Vega, Edie Brickell und wie sie alle heißen —, doch legt er Wert auf die Fähigkeit, sich von solch lebensgehärteter Sterntaler-Raffinesse immer wieder aufs neue bereitwillig überrumpeln zu lassen. Das jedenfalls hat er mir soeben geflüstert. Thomas Groß

Barbara Gosza: Beckett & Buddha

(Strange Ways Records/EFA)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen