VILLAGE VOICE: Treu und Glauben sinken in den Schmutz
■ Heute ohne den Nimbus der Untergrund-Band: Die Ex-DDR-Band Freygang mit neuer Platte
Es war ein Coup. Als die FDJ 1987 DDR-Bands nach Sibirien schickte, um ostdeutsche Erdgas- Rohrleger mit Heimatklängen zu erfreuen, stiegen Musiker ins Flugzeug, die sich »O.K. Rockband« nannten. In Rußland stellte sich heraus, daß sie die Staatsjugend ausgetrickst hatten. Die Männer waren keineswegs »O.K.«, sie gehörten zur Gruppe »Freygang«, die in der DDR verboten war. André Greiner-Pol, der Gründer der Formation, hatte Titel von »Ton Steine Scherben« nachgespielt.
Heute muß »Freygang« ohne den Nimbus der Untergrund-Band weitermachen. Nach der gemeinsamen Platte mit »Firma« und »Ich-Funktion« ist jetzt die erste eigene LP erschienen. Auf solide gehandwerkelten Blues- und Rock-'n'-Roll- Rhythmen bauen eingängige, durchaus eigenständige Melodien auf. Andrés Geige dominiert. Die Grundstimmung der Platte könnte man überschreiben: Ganz schön tragisch, das Leben. Es wimmelt von tragischen Gestalten. Gleich zum Einstieg wird ein Prinz von Greisen gemeuchelt. Der Text des ersten Titels Der König stammt allerdings von Rainer Maria Rilke.
Wie in fast allen Stücken singt Greiner-Pol, in diesem Fall besonders schwermütig und dennoch aggressiv. Tragische Entzweiung auch im zweiten Lied Hey du, ich glaub dir nicht mehr! Angenehm, daß über dem Pathos die Selbstironie nicht vergessen wird: Während in dem langsamen Sprechgesang Treu und Glauben in den Schmutz sinken, erinnert das schäumende Hintergrundgeräusch an den Kochwaschgang einer Waschmaschine. In der Spree schwimmt eine Leiche singt André später mit sägender Stimme. Er läßt sich leicht erraten, um welche Spezies Mensch »der Jagdverein Gestreckter Hammel« in »stiller Trauer« Tränen vergießt. Auf »Minister« reimt sich da schon mal »Philister«. Das grausliche Szenario wirkte witziger bei weniger moralischem Ernst des Textes. Ein weiterer Titel nimmt gar auf den ukrainischen Atom-GAU Bezug, mahnt mit kontaminierten Gartenzwergen und verstrahlten Schweinshaxen: »Hätt' der Wind sich ein wenig nach Westen gedreht...« Geigenspiel beschwört das Bild wüster Einöde nach dem Unfall.
Was mit einer getragenen, klaren Melodie beginnt, geht nach und nach in ein schnelles Geschrummel über. Lust an Widersprüchen merkt man Greiner-Pol an, wenn er kokett Stimmbrechungen einsetzt und von kehlig zu nasal wechselt. Die Violine feilt an der Spitze der Tonleiter herum, ein hoher Piepton überdeckt den Text. Die wehmütige Klage eines Männerchores schließlich glättet die Widersprüche. Am Ende wird es überraschend noch einmal lustig. Einfach und ohne Hintergedanken näselt Bassist Hansi Müller-Fornah Sweet Jane ins Mikro. Daß die Version ein wenig nach »The Cure« klingt, läßt man sich nach all den Brüchen gefallen. Konstantin Breyer
LP und MC bei Flint Records, UVA GmbH, Pf 106, 1080 Berlin.
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