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VIERTHÖCHSTER GEISTLICHER IRLANDS ERKLÄRT SEINEN RÜCKTRITT

Die Cousine des Bischofs

Dublin (taz) — Ein Bischofsposten ist eine Stellung fürs Leben, sollte man meinen. Um so überraschter waren die Schäfchen in der westirischen Stadt Galway, als ihr Bischof Eamonn Casey in der vergangenen Woche seinen Rücktritt erklärte — „aus persönlichen Gründen“, wie es hieß. War er plötzlich zu den Zeugen Jehovas übergetreten? Das Ereignis verdrängte jedenfalls alle anderen Nachrichten von den Titelseiten. In nachrufartigen Artikeln wurde das Leben des Bischofs gewürdigt und sein Einsatz für die Armen gelobt. War er etwa verstorben? Weit gefehlt. Casey hatte lediglich seit 17 Jahren regelmäßig Geld an eine US- amerikanische Frau aus dem Bundesstaat Connecticut überwiesen. Den Grund dafür behielt die 'Irish Times‘, die die Zahlungen auf drei vollen Seiten enthüllt hatte, freilich für sich. Aus den Spätnachrichten im irischen Radio erfuhr die entsetzte Öffentlichkeit, daß die Frau und Cousine zweiten Grades des Bischofs einen 17jährigen Sohn hat. Zwei Tage später wurden die furchtbaren Vermutungen zur Gewißheit: In einem telefonischen Interview mit dem irischen Fernsehen sagte die 44jährige Annie Murphy: „Es war Liebe auf den ersten Blick.“

Während der 18monatigen Beziehung, die 1973 begann, mußte Murphy allerdings „wie eine Mätresse“ leben. Der fidele Bischof versuchte sie vergeblich zu überreden, das gemeinsame Kind zur Adoption freizugeben. „Es ist Gottes Kind“, erinnert sich Murphy, ihm gesagt zu haben, „es muß das Beste bekommen, das das Leben ihm zu bieten hat, und nicht eine unverheiratete Mutter, die sich nicht mal um sich selbst kümmern kann.“

Sie wurde mit ihrem Sohn Peter in einem schäbigen Heim für ledige Mütter untergebracht, bevor sie wieder in die USA zurückging. Casey zahlte monatlich hundert Dollar Unterhalt und überwies vor zwei Jahren 115.000 Dollar. Über die Herkunft des Geldes wird der Mantel hochwürdigen Schweigens gebreitet. Möglicherweise stammt es ja aus dem Sonderfonds des Vatikans für solche Fälle. Denn Casey ist in der langen Geschichte der katholischen Kirche beileibe kein Einzelfall. So stammt der Name „McEntaggart“ von dem Irischen „Mac An Tsagairt“ ab, was nichts anderes als „Sprößling des Priesters“ bedeutet.

Casey war jedoch nicht irgendein Priester, sondern immerhin der vierte Mann in der katholischen Hierarchie Irlands. Der extrovertierte Geistliche, der Sport, schnelle Autos, gutes Essen und Trinken mag, war wegen seiner Auftritte in Fernsehshows äußerst beliebt. Dem tat auch eine Verurteilung wegen Alkohols am Steuer 1986 keinen Abbruch. Casey ist noch immer Vorsitzender von Trocaire, der angesehenen katholischen Hilfsorganisation für die dritte Welt. Dieses Engagement führte bei ihm zu einer kritischen Haltung gegenüber der US- Politik in Mittelamerika, so daß er sich 1984 weigerte, den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan zu empfangen.

Die Reaktionen der Bevölkerung auf Caseys Vaterschaft reichten von Verurteilung des „gefallenen Vorbilds“ bis zu Schuldzuweisungen an Annie Murphy. „Der Teufel lauert da draußen auf uns alle“, sagte eine Frau aus Galway verständnisvoll. Für die Kirche ist die Enthüllung eine mittlere Katastrophe, zieht sie doch ihre „moralische Autorität“ bei der Abtreibungsdebatte in Zweifel. Casey gehört in der Abtreibungs- und Scheidungsfrage dem reaktionären Kirchenflügel an. So befürchtet man, daß die IrInnen die Kirche nun als das erkennen könnten, was sie ist: eine Organisation von Heuchlern. Es ist wenigstens zu hoffen, Caseys „Outing“ möge dazu führen, daß die Kirche ihr Schwarzweißdenken relativiert und mit ihrer frauenfeindlichen und menschenverachtenden Politik in Irland zukünftig etwas vorsichtiger ist. Die IrInnen reagierten jedenfalls schnell auf Caseys „Fall“: Das trostreiche Sprichwort bei grobem Mißgeschick („Das kann sogar einem Bischof passieren“) wird seit vergangener Woche nur noch in überarbeiteter Form benutzt: „Das ist sogar einem Bischof passiert.“

Ralf Sotscheck

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