: Utopie als Kapital
Mit kritischer Sympathie zeichnet Sibylle Plogstedt nach, wie einst Frauenbetriebe entstanden und sich immer mehr professionalisierten
„Geld hatten wird alle nicht. Aber ich wollte das unbedingt.“ So wie die Wiesbadener Buchhändlerin Anke Schäfer die Eröffnung ihres Frauenbuchladens beschreibt, so begann die Frauenbewegung in den Siebzigerjahren, ihre Projekte zu entwerfen – das Gründungskapital bestand aus Enthusiasmus und Willen zur Utopie. Die Utopie hat ihre Anziehungskraft verloren, die Frauenprojekte dabei nicht minder. Was bleibt von dem Versuch einer Generation, feministische Projekte in einem als patriarchal und kapitalistisch verstandenen Umfeld einzurichten?
Das fragt Sibylle Plogstedt in ihrem Band „Frauenbetriebe. Vom Kollektiv zur Einzelunternehmerin“. Wen sollte diese Frage interessieren – wenn nicht jemanden, der auch seine eigene Vergangenheit aufarbeiten möchte? Sibylle Plogstedt hat selbst die Frauenzeitung Courage mitgegründet und sich als Publizistin lange mit Frauenprojekten und Alternativbetrieben befasst. Nun hat sie Mitstreiterinnen aus alten Tagen befragt: aus Frauenbuchläden, Informationszentren, Frauenhotels oder Handwerkskollektiven.
Ihre Befunde präsentiert Plogstedt mit kritischer Sympathie – und das ist schon einmal angenehm, weil sie weder Apologetik betreibt noch den heute üblichen Abwehrreflex gegen die Frauenbewegung bedient. So kommen vergessene Motivlagen wieder zum Vorschein: Etwa, dass sich Frauenbuchläden gründeten, weil deren Literatur in herkömmlichen Buchhandlungen schlicht nicht zu bekommen war. Oder dass sich Frauengesundheitsgruppen bildeten, weil „Frauenleiden“ in der Medizin nicht angemessen behandelt wurden. Das heißt, diese Frauen waren eine gesellschaftliche Avantgarde. Und die besaß eine Attraktivität, die sich Nachgeborene heute nur schwer vorstellen können.
Heute schaut man verständnislos auf viele selbst fabrizierte Tabus, die Plogstedt ausführlich abhandelt: Den Gleichheitsanspruch etwa, der verquaste, inoffizielle Machtstrukturen produzierte; die „Parteilichkeit“, die nicht selten in der völligen Ablehnung von Männern und heterosexuellen Beziehungen mündete. Und schließlich die verordnete Solidarität, die in Selbstverleugnung und -ausbeutung ausarten konnte. Da man aus Frauensolidarität niemandem kündigte, wurden unbeliebte Personen auf besondere weibliche Art entsorgt.
Plogstedt und ihre Gesprächspartnerinnen reflektieren ausgiebig über Mobbingstrukturen, die seinerzeit ziemlich brutal als „trashing“ bezeichnet wurden, und einige der hoffnungsfrohen Gründerinnen in den psychischen und physischen Zusammenbruch trieben. Tabus macht Plogstedt auch beim Thema Schönheit aus – wer sich aufbrezelte, gehörte nicht dazu – oder bei der Frage, ob man Eigentum anhäufen wollen darf, das doch lieber sozialisiert werden sollte. Dass Frauenkollektive eher unprofessionell auftraten, war ebenfalls Teil der Ideologie: Professionalität galt als patriarchal. Diese „jakobinische Phase“ (Plogstedt), in der die Kollektive die Reinheit der Lehre über die Realitäten stellten, ist mittlerweile vorbei, hat aber Wunden und ein desaströses Image der Frauenkollektive hinterlassen.
Die Projekte, die bis heute durchhielten oder sogar erfolgreich geworden sind, haben sich professionalisiert, eine Leitungsebene eingezogen, sind serviceorientierter geworden und weniger restriktiv gegenüber Männern. Zudem gibt es bis heute zahlreiche Gründungen von Frauenunternehmen, die nicht mehr mit einem moralischen Surplus als Frauenfirma werben. Die Stärke von Plogstedts Band ist, dass sie die Beweggründe der Frauenkollektive für ihr schrulliges Agieren kontextualisiert und kenntlich macht. Eine Schwäche ist neben der etwas trockenen Aufbereitung der Interviews, dass Plogstedts verständnisvoller Blick das Ausmaß des Imageabsturzes der Frauenbewegung bei der nachwachsenden Frauengeneration etwas verwischt. HEIDE OESTREICH
Sibylle Plogstedt: „Frauenbetriebe. Vom Kollektiv zur Einzelunternehmerin“, Ulrike Helmer Verlag, Königstein im Taunus 2006, 232 Seiten, 19,90 Euro