Ute Vogt: Ungreifbar und angegriffen
Am Freitag steht Ute Vogt auf dem SPD-Landesparteitag von Baden-Württemberg zur Wiederwahl. Doch nach ersten Erfolgen ruckelt ihre Karriere - und die Zahl ihrer Kritiker wächst.
Ute Vogt ist erstaunlich gelassen. Ein bisschen genervt vielleicht, aber locker. Wahrscheinlich wird man so, wenn der Beschuss monatelang andauert. Die Furchen unter den Augen dürften normal sein für eine Profipolitikerin.
Klar, jetzt, wo es auf den Parteitag am Freitag zugeht, läuft alles einen Zacken härter. Am Wochenende hat der oberste Gewerkschaftsboss von Baden-Württemberg, ein Sozi, erklärt, im SPD-Landesvorstand nicht mehr mit ihr arbeiten zu wollen. Am Montag erschien im Spiegel ein Artikel über sie. Diagnose: Sie will ihren Job gar nicht mehr. Und gerade zeigt ihr Handy die Nummer eines Gegners im Landesverband an. Vermutlich will er erklären, warum er ihr gleich öffentlich in die Parade fahren wird. Darauf hat sie keinen Bock. Sie legt das Handy auf den Tisch zurück und lächelt ironisch.
Es ist nicht allzu lange her, da wurde Ute Vogt hoch gehandelt. Eine Frau, die mit 34 Jahren Landesvorsitzende wird. Mit 35 Chefin des Innenausschusses im Bundestag. Mit 36 Spitzenkandidatin. Gerhard Schröder lobt sie, die Medien loben sie, und bei der Wahl macht sie die traurige SPD im CDU-Land froh. Wie immer Opposition, aber acht Prozent Plus. Doch dann stürzt sie beim zweiten Versuch sogar gegen einen gehetzten, eckigen Oettinger ab und kriegt danach nicht mal den eigenen Laden in den Griff. Was hat sie falsch gemacht?
Sie sitzt in einem Büro im vierten Stock des Berliner Willy-Brandt-Hauses. Sie darf noch bis Ende Oktober eine von fünf stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD sein. Danach wird die Dame im Foyer Besucher eilfertig anlächeln, wenn der Name Steinbrück oder Nahles fällt. Der Mitarbeiter am Schreibtisch, der jetzt Flüge für sie raussucht, wird jemand anderem zugeteilt werden. So sieht es in Berlin aus. In Fellbach bei Stuttgart entscheidet sich am Freitag Vogts Zukunft in Baden-Württemberg. "Am liebsten hätte ich Krach und ein gutes Ergebnis", sagt sie. "Ich will, dass alles offen ausgesprochen wird." Es klingt ungeduldig. Sie schickt zur Beruhigung ein sarkastisches Lächeln hinterher.
Wenn sie über ihren Weg erzählt, kommt sie oft auf die Fehlersuche. Es war vielleicht falsch, sich freiwillig in Otto Schilys Innenministerium einsperren zu lassen - als Staatssekretärin, die den Mund halten musste und auf öde Termine geschickt wurde. Dann die Wahlkampagne 2006. Sie entschieden sich für Plakate mit einer ernst dreinblickenden Ute Vogt für harte Zeiten. Niemand in Baden-Württemberg wollte das haben. "Wenn ich das Foto heute sehe, denk ich: So bin ich nicht", sagt sie. Schließlich zuletzt das Gequengel in der Landtagsfraktion. Hätte sie ihre Gegner öfter stellen sollen? Oder öfter ignorieren? Wahrscheinlich fehlt ihr der Abstand, es selbst zu beurteilen.
Renate Schmidt hat Distanz. Die 63 Jahre alte Sozialdemokratin sitzt im Dachgeschoss eines Bundestagshauses gegenüber der Russischen Botschaft. Sie ist schon zwei Jahre keine Ministerin mehr. Nur noch Abgeordnete. Sie trägt bequeme Schuhe und lässt sich Zeit. "Meine Lebensqualität hat zugenommen. Die Tage sind nicht mehr so straff."
Renate Schmidt hat es höher hinaus geschafft als Ute Vogt. Sie wurde sogar als Kanzlerkandidatin gehandelt. Aber es gibt eine Menge Parallelen. Beide übernahmen den Landesvorsitz in einem Land, wo die SPD nichts zu melden hat. Beide schafften das Wunder, dass die Sozialdemokraten vorübergehend an eine Chance glaubten, und beide wurden anfangs von den Medien gefeiert: Renate Schmidt war die "Powerfrau" aus Bayern und Ute Vogt die "Schwertgosch" aus Baden-Württemberg.
Befragt man Schmidt zum Fall Vogt, sagt sie, sie habe das Gefühl, dass sich die Geschichte wiederholt. Zuerst würden die Männer den Karren in den Dreck fahren. Anschließend werde eine Frau zur Hoffnungsträgerin stilisiert. Das sei gut, weil es die Durchsetzungskraft erhöhe, jedoch schlecht, weil die Hoffnungen zu groß seien. "Man kommt nie allein dadurch an die Macht, dass man gut ist - wurscht, ob Mann oder Frau. Die anderen müssen schlecht sein."
Vogts Konkurrent von der CDU ist schlecht. Günther Oettinger lässt wenig Fettnäpfchen aus. Er wollte Kunstschätze des Landes verscherbeln, und seine sagenhafte Filbinger-Trauerrede hat ihn fast das Amt gekostet. Aber die Sozialdemokraten kommen in den Umfragen nicht vom Fleck. Einige verlangen, Vogt solle jetzt sagen, ob sie noch einmal Spitzenkandidatin werden will.
Jetzt Spitzenkandidatin? Schmidt schaut höhnisch. Man brauche die Nominierung kurz vor dem Wahlkampf, nicht drei Jahre davor. "Es ist bescheuert, von ihr jetzt eine Entscheidung zu verlangen. Das macht sie nur kaputt."
Während Schmidt in ihrem Büro über die Karrieren von sich und Vogt nachdenkt, wird sie ein wenig kämpferisch. Sie erzählt von Durchstechereien und Verletzungen - gefolgt von regelmäßigen Solidaritätsbekundungen. Nachdem sich die ersten Hoffnungen nicht erfüllten, wurde Renate Schmidts Schatten größer. Er hieß Albert Schmid. Eigentlich wäre er gern die Nummer eins der Bayern-SPD gewesen. Sie ließ ihn die Nummer zwei sein. Er versuchte trotzdem, sie fertigzumachen.
Ute Vogts Schatten heißt Wolfgang Drexler. Auch er wollte die Nummer eins sein. Sie ließ ihm Platz zwei. Nach der Niederlage 2006 hat sie ihm auch den Fraktionsvorsitz im Landtag weggenommen. Drexler musste sich ins Landtagspräsidium loben lassen. Nach dem Bruch des Gewerkschaftsbosses mit Vogt hat er gleich verkündet, wie verheerend das für die SPD sei.
Drexler, 61 Jahre alt, ist ein Oberamtsanwalt aus Esslingen. Er kann den politischen Gegner hart angehen, aber er hat nichts, was einer der CDU-Minister nicht bieten könnte. Ute Vogt war ihm bisher aus zwei Gründen überlegen. Einerseits durch ihre Stellung in Berlin. Andererseits, weil sie nicht langweilig war. Die freche, junge Motorradfahrerin gegen die alten Säcke aus der CDU, das war eine starke Geschichte. Auch Renate Schmidt unterschied sich so von ihren Genossen. Eine schöne Frau, die Mutter und voll berufstätig war und sich dann in der Politik durchgesetzt hat.
Schmidt sagt: "Die Leute wollen wissen, was das für ein Mensch ist. Sie brauchen Bilder, die die Fantasie anregen." Als sie und ihr zweiter Mann eine Zeit lang zusammen waren, hat sie ihn nach Bayreuth zu den Festspielen mitgenommen: "Komm, wir müssen uns jetzt mal zeigen und dann ist gut." Es wurde eine große Geschichte: Die neue Renate Schmidt findet mit über fünfzig das große Glück mit einem Maler.
Ute Vogt behält ihr Privatleben für sich. Vor ihr auf dem Tisch im Büro liegen zwei Handys. Ein weißes für die Politik, ein silberfarbenes fürs Private. Sie trennt. Im zweiten Landtagswahlkampf hat sie keine neue Geschichte von sich erzählt. Oettinger lud Journalisten in den Zoo ein, um sich dort mit Frau, Sohn und ein paar Tieren fotografieren zu lassen. Die große Homestory improvisierte er in der Villa Reitzenstein, obwohl das eigentlich die Regierungszentrale ist. Egal. Villa ist Villa. Er behauptete sogar, dass er ab und zu für die Familie einkaufen geht. Ute Vogt schwieg.
Sie fand, dass es niemanden was angeht, was sie für ein Privatleben führt. Und ob sie eines hat. Seit einiger Zeit ist sie mit einem Mann zusammen. Er sei aus Baden-Württemberg, nicht aus Berlin. Mehr sagt sie nicht. Sie erzählt nur, wie ihr Bild angeboten habe, eine große Geschichte zu bringen. Sie könnte selbstverständlich die Fotos mit auswählen. Sie sagte ab. "Wer einmal die Tür aufmacht, kriegt sie nie wieder zu."
Sie hat schlechte Erfahrungen gemacht. Die Heiratsanträge im ersten Wahlkampf waren harmlos. Der Stalker, der ihr jahrelang nachstellte, weniger. Zu manchen Auftritten wird sie immer noch von Leibwächtern begleitet. Sie sagt, dass sie nicht ständig der Öffentlichkeit gehören möchte. "Ich stehe von morgens bis abends in Zwängen. Ich will mein Haus für mich."
Im Wahlkampf 2006 ist sie von zwei Privatradiotypen ohne Vorwarnung gefragt worden, ob sie je einen Orgasmus vorgetäuscht hat. In einem Sekundenbruchteil entschied sie, sich diesmal nicht zu verweigern. Sie bejahte die Frage. Die Fantasie der Leute wurde angeregt, allerdings nicht positiv. Eine Frau, die keinen Mann vorzeigen kann und nicht mal ordentlich kommt, na so was!
Die "Orgasmus-Lüge" wurde die einzige Ute-Vogt-Geschichte des Wahlkampfs, von der außerhalb Baden-Württembergs Notiz genommen wurde. Der Fehler hat sie bestärkt, künftig zu schweigen. Aber der Vorteil, persönlich interessant zu sein, fehlt ihr immer mehr. Es gibt kaum etwas, das die Menschen mit Ute Vogt verbinden können. Sie ist irgendwie ungreifbar.
Sie erscheint fast so blass, so durchschnittlich wie ihre Widersacher. Weil die Herren das spüren, werden sie frech. Sie schafft es nicht, sie zufrieden zu stellen. Oder gegeneinander auszuspielen. Ihr fehlt das taktische Geschick.
So leitet sie Fraktionssitzung um Fraktionssitzung. Vorstandssitzung um Vorstandssitzung. Es gibt den Vorgänger, der am Tisch sitzt. Es gibt die Männer, die hämisch tuscheln. Es rumort auf den Gängen im Landtag. Die Abgeordneten trinken nach der Arbeit gern noch ein Bier. Ute Vogt trinkt selten eins mit.
Ab und zu steckt ein Sozialdemokrat einem Journalisten etwas. Die Stimmung sei so, dass Vogt nicht straff führe, heißt es einmal. Es sei problematisch, dass Vogt wenige neben sich dulde, wird ein anderes Mal missbilligt. Sie klagt, das Gefühlige, Unkonkrete mache ihr zu schaffen. Sie könne sich nicht wehren. Einmal habe ihr ein Parteifreund geraten, sich anders anzuziehen.
Die Juristin sagt, dass sie auf ein reinigendes Gewitter hofft auf dem Parteitag. Es klingt ein bisschen trotzig, wie sie das fordert. Aber was bleibt ihr übrig. Es ist ihr Job. Obwohl sie am Ende nicht um ihn betteln würde.
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