: Ussama in Gelee
Was uns das Kochen von Marmelade über effektive Terrorbekämpfung lehrt
Wie sehr der 11. September 2001 das tägliche Leben fernab von Ground Zero veränderte, wird erst nach und nach richtig deutlich. Abgesehen von Repressalien gegen ganze Volks- und Religionsgruppen, wurden und werden beliebig lokal begrenzte Kriege unter dem Leitmotiv „war against terror“ ohne Mandat geführt, die allerdings keinen wesentlichen Effekt zeigen, denn weltweite Terroranschläge lassen sich dadurch weder verhindern noch eindämmen. Selbst friedliche und formelschwangere Physiker, kaum in der Lage Steine, geschweige denn Bomben zu werfen, widmen Gedanken, Papier, Bleistift und Computerpower aktuellen Terrorfragen.
So untersuchten jetzt zwei französische Physiker den Zusammenhalt internationaler Terrornetzwerke. Dazu entwickelten sie eine auf praktische Tätigkeiten, etwa Marmelade kochen, basierende bombenstarke Theorie. Gar nicht so abwegig, denn die gezuckerten Früchte werden mit Apfelpektin aufgekocht. Das Geliermittel Pektin hat allein die Funktion, aus den kettenförmigen Molekülen ein stabiles und umfassendes Netz aufzubauen, das der Marmelade die gewünschte Konsistenz gibt. Zuwenig davon, und die Marmelade bleibt flüssig, während zuviel sie zu einem gummiartigen Gel verfestigt.
Wie stabil ist überhaupt ein Netz? Dazu stellen wir uns vor, die Früchte vom Markt sind in ein Einkaufsnetz gepackt, dessen Maschen dann peu à peu an beliebigen Stellen durchschnitten werden. Zuerst passiert nichts, es gibt ja noch viele intakte Maschen und das Netz behält seine Tragfähigkeit. Erst nachdem genügend viele Stränge durchtrennt wurden, kullern die Früchte auf die Erde, denn der Zusammenhalt des Netzes ist nicht mehr gegeben, es bleiben nur noch kleinere Bruchstücke übrig. Die Anzahl der Schnitte hängt von der Dimension ab. Ein eindimensional verknüpftes Netz, trivialerweise ein Seil, ist mit einem einfachen Schnitt zu trennen, beim zweidimensionalen Einkaufsnetz braucht es schon mehr Schnitte und noch deutlich mehr bei einem dreidimensionalen Webstück
Irgendwie, so die beiden Franzosen, gelten diese Überlegungen auch für Terrornetzwerke. Al-Qaida operiert, so zeigen es deren „Experimente“, weltweit auf der Erdoberfläche, aber scheinbar ohne direkte Verbindungen zwischen den an verschiedenen Orten operierenden Zellen, Sympathisanten und Schläfern. Dabei spielen Sympathisanten und Schläfer die Rolle des Apfelpektins, denn wenn deren Anzahl groß genug ist, gibt es ohne Zweifel ein festes Terrornetzwerk und globale Aktionen. Ist deren Anzahl kleiner, kommt es lediglich zu lokalen Aktionen. Nun würde der Texaner G. W. Bush sicher nicht zögern, alle Sympathisanten mit rauchenden Colts auszuschalten, nur sind diese nicht einfach als solche zu erkennen. Aber, so überlegten sich die beiden Physiker, diese zweidimensionale Erdoberfläche ist nicht ausreichend, denn eine Vielzahl „sozio-physikalischer Dimensionen“, wie Armut, religiöse und ethnische Zugehörigkeit, individuelle Terrorakzeptanz, lässt multidimensionale Netze entstehen. Diese vielen Dimensionen bestimmen aber, wie viele Maschen in diesem virtuellen Netz durchtrennt werden müssen, damit nur kleine Bruchstücke übrig bleiben, die regional begrenztem Terror entsprechen. Die Schlussfolgerung ist also, die sozio-physikalischen Dimensionen möglichst niedrig zu halten, dann gäbe es kein weltumspannendes Terrornetzwerk, sondern lediglich kleine und leicht kontrollierbare Netze. Leider ist eine effektive Terrorbekämpfung davon weit entfernt, und trotz der Kriege in Afghanistan und Irak wurden Anschläge nicht verhindert.
Dass der sich gern in Kampfanzüge kleidende Bush diese aktuellen Forschungsergebnisse las und verstand, ist ihm nach seinen Lösungsversuchen eines lokalen, aber flächendeckenden und (physikalisch) sinnlosen Bombardements, nicht zuzutrauen. Allerdings sind seine jüngsten Aktionen, wie der Fahrplan für einen palästinensischen Staat, die politische Einbindung der arabischen Regierungen oder ein sanfter Druck nach allen Seiten die ersten Schritte zur Dimensionsreduktion. Bei etwas zu fest gekochter Marmelade funktioniert es ja ähnlich: Zart zwischen Zunge und Gaumen zerdrückt, zwingen wir sie unter voller Geschmacksentwicklung in zwei Raumdimensionen. Und so geht jedes Netzwerk in die Brüche. THOMAS VILGIS